: Monster und Mörder
Alle Jahre wieder: Zwischen bewährtem Trash und selbstreflexivem Teenie-Horror lassen sich ab 11. August beim Fantasy Filmfest einige wirkliche Entdeckungen machen ■ Von Holger Römers
Eine gewisse programma-tische Unübersichtlichkeit gehört beim Fantasy-Filmfest zum Prinzip. Ist der Genrebegriff „Fantasy“ schon nicht der allergenaueste, so macht der Untertitel „Internationales Festival für Science Fiction, Horror und Thriller“ erst recht deutlich, dass bei dieser alljährlich durch Deutschland tingelnden Veranstaltung Genregrenzen eher großzügig ausgelegt werden. Ein Fantasy-Film war in den vergangenen Jahren denn auch oft genug, was die Programm-Macher kurzerhand dazu bestimmt hatten. Mit willkürlichen Einverleibungen scheint man sich diesmal zwar etwas zurückgehalten zu haben, dafür sind bei einem ersten Blick auf das Programm aber auch keinerlei thematische oder formale Schwerpunkte auszumachen. So tummelt sich zwischen einem deutschen und einem thailändischen Scream- Rip-Off ein wildes Durcheinander aus Filmen mit Zombies und Mad Scientists, Satanisten und Kannibalen, Lady Ninjas und Komodo Dragons. Und mit Cindy Sherman, Bryan Singer und Steven Soderbergh sind schließlich auch ein paar große Namen am Start.
Bedenkenlos zu empfehlen ist in jedem Fall der Eröffnungsfilm des Festivals: Stir of Echoes ist einer jener Filme, die im post-klassischen amerikanischen Kino nahezu völlig von der Bildfläche verschwunden sind. Dieser späte Vertreter eines altmodischen Genrekinos, das sich ganz selbstverständlich auf erprobte Erzählkonventionen und Inszenierungsmuster verläßt, ist zwar im Chicago der Gegenwart angesiedelt, doch sein Sujet könnte klassischer kaum sein: Es handelt sich um eine Geistergeschichte, in deren Verlauf eine idyllische Nachbarschaft mit ihren sprichwörtlichen Leichen im Keller konfrontiert wird.
Aus reinem Übermut hat sich Tom (Kevin Bacon) auf einer Party unter Hypnose versetzen lassen, woraufhin ihm plötzlich der Geist einer vor wenigen Monaten verschwundenen jungen Frau erscheint. Diese schockartig aufblitzenden Visionen seines Protagonisten inszeniert Regisseur und Drehbuchautor David Koepp ganz traditionell mit schnellen Flashcuts, und ohne große Überraschungen entwickelt er seine Story auch konsequent weiter. Dass die Figur von Toms Ehefrau leider etwas unterentwickelt bleibt, dass einzelne Handlungfäden nicht ganz stringent verfolgt werden und zuletzt ein kleiner Bruch im Erzählrhythmus auftritt – solche Schnitzer gleicht Koepp dadurch aus, dass er überzeugende Bilder für die Verwirrung eines Mannes findet, der sich plötzlich ungewollt übersinnlichen Wahrnehmungen ausgesetzt sieht. Und ein großartiges Darstellerensemble tut natürlich sein Übriges.
Stir of Echoes erfindet das Kino nicht eben neu, doch der Film führt vor Augen, daß selbst abgegriffene Genreregeln immer noch funktionieren können. Ein bisschen Mut und vielleicht auch eine Portion Naivität gehören allerdings dazu, um auf den doppelten Boden der Selbstironie zu verzichten. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund einer epidemieartig umsichgreifenden Welle slicker Teenie-Horror-Streifen, die niemand ernst nehmen will, am wenigsten die Filmemacher selbst.
Bride of Chucky gehört zu diesen Filmen, die glauben, dass demons- trativ zur Schau gestellte selbstreflexive Ironie ihre einzige Daseinsberechtigung bedeute – was ja schließlich auch nicht ganz falsch ist. Ronny Yus Film wartet mit rüdem Humor auf und ist niemals richtig schlecht, letztlich aber herzlich belanglos. Im September wird der Film regulär in Deutschland starten, während er in den Zeiten vor Scream umstandslos im Videothekenregal gelandet wäre. Doch auch so wird man auf dem Fantasy- Filmfest wieder genügend Straight-to-Video-Trash zu sehen bekommen, wie beispielsweise den dänischen Film Possessed. Regisseur Anders Ronnow Klarlund erzählt seine alte Satan-bedroht-die-Welt-Geschichte reichlich umständlich, und sein manirierter Farbfiltereinsatz ist niemals nachvollziehbar. Die notorische Verquickung von Okkultismus, Seuchengefahr und Exotismus (wobei Rumänien als das Afrika Europas firmiert) macht diesen groben Unfug schließlich noch ziemlich unappetitlich.
Erfreulicherweise lassen sich bei dem Fantasy-Filmfest aber alljährlich auch wirkliche Entdeckungen machen: The Blair Witch Project ist eine kleine No Budget Produktion, die ähnlich wie die Dogma 95-Filme aus der Not eine Tugend macht und technische Mängel kurzerhand zum Prinzip erhebt. Dem Film ist die Behauptung vorangestellt, daß man dokumentarisches Material dreier Filmstudenten zu sehen bekomme, die bei den Dreharbeiten auf mysteriöse Weise verschwunden seien. Damit liefern Daniel Myrick und Eduardo Sanchez, die gemeinsam für Regie und Drehbuch verantwortlich zeichnen, gleich eine perfekte Erklärung, warum ihr Film ausschließlich auf 16mm und Video gedreht ist. Aus dieser Prämisse einer Fake-Dokumentation folgt aber auch zwingend die Entwicklung ihrer Story.
Die Zuschauer begleiten die drei Jungfilmer also auf ihrem schicksalhaften Weg in ein ausgedehntes Waldgebiet Marylands, wo, einer Legende nach, in den 40er Jahren mehrere Kinder verschwanden und ein behaartes Fabelwesen gesichtet wurde. Etwas Grusligeres als ein paar ominöse Zeichen, die aus Steinen, Zweigen und Moos geformt sind, bekommt man dabei bis zum vorgezeichneten Ende nicht zu sehen – und eben das ist das Wunderbare an diesem Film. Myrick und Sanchez zeigen, dass es mehr gar nicht bedarf, um im Kino einen (un)angenehmen Schrecken zu verbreiten: Ihr Film tut nichts anderes, als noch einmal das Märchen von den Kindern, die sich im Wald verlaufen, zu erzählen und mit seinen grobkörnigen, nur vom schwachen Kameralicht erleuchteten Bildern unsere Urangst vor der Dunkelheit zu mobilisieren.
Für die Wirkung eines Horrorfilms, das veranschaulicht The Blair Witch Project beispielhaft, ist ausschlaggebend, wie geschickt die Erwartungen, die Blicke und die Identifikationen der Zuschauer gelenkt werden. Nachdem wir neunzig Minuten lang, immer durch die subjektive Perspektive der Opfer, kaum etwas Spektakuläres zu Gesicht bekommen haben, müssen Myrick und Sanchez zuletzt nur überfallartig das Erzähltempo forcieren. Besonders viel zu sehen gibt es dann immer noch nicht. Da das unheilvolle Ende von Beginn an vorgezeichnet war, sind die folgenden verwischten, grauen Bilder wahrscheinlich dennoch wesentlich effektiver als der Einsatz der meisten Monster und Meuchelmörder, die auf diesem Festival natürlich wieder zahlreich vertreten sein werden.
vom 11. bis 18. August, Infos unter Telefon 35 55 45 55f
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