: Belgrad hat seine Stimme wieder
Radio B 92 sendet wieder. Mit freundlicher Hilfe von Vuk Draskovic, der eine Frequenz seines TV-Senders zur Verfügung stellt. Trotzdem glaubt die Redaktion, unabhängig berichten zu können ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji
Mit B 92 haben die Belgrader ab sofort ihren geliebten Radiosender wieder und das Regime einen seiner gefährlichsten Gegner zurückbekommen. Seit gestern ist das Belgrader Kultradio wieder auf Sendung. Unter einem anderen Namen – B2 92 – und auf einer anderen Frequenz, doch mit der gleichen Informationspolitik. Die neue Frequenz hat der Belgrader TV-Sender Studio B zur Verfügung gestellt, den Vuk Draskovic, Vorsitzender der Serbischen Erneuerungsbewegung, kontrolliert.
„Belgrad hat seine Stimme wiederbekommen“, sagte Direktor Veran Matic feierlich. Er gedachte des während des Kriegszustandes ermordeten Herausgebers der Zeitung Dnevni Telegraf, Slavko Curuvija, und erinnerte an alle Opfer der repressiven Mediengesetze in Serbien. Mit unverminderter Härte würde nun sein Radio den Kampf für die Demokratisierung Serbiens aufnehmen, versprach er.
Vor genau vier Monaten, zu Beginn der Nato-Luftangriffe, war B 92 eines der ersten Opfer der Kriegszensur. Aber im Gegensatz zu anderen Medien sollte der lästige Sender endgültig zum Schweigen gebracht werden. Vertreter des Regimes beschlagnahmten die Räume sowie die Ausrüstung und setzten eine neue Redaktion ein. Auf der Frequenz des berühmtesten unabhängigen Radios Jugoslawiens sendete fortan der staatliche Rundfunk.
„Für mich war das ein Schock, das Ende der Welt. Plötzlich sah alles total düster und hoffnungslos aus. Es ist schwer, jemand Außenstehendem zu erklären, wie wichtig B 92 für uns ist“, sagt der 23jährige Student Branko. Dieses Radio sei eine Institution, die einzige vertrauenswürdige Informationsquelle des Landes. Er wie auch alle seine Freunde hätten den Tag stets mit B 92 begonnen: „Ein Knopfdruck und man erfährt einfach alles.“ Außerdem sei der Sender eine Oase der urbanen Kultur im Meer des Provinzialismus, das Belgrad zu überschwemmen drohe. B 92 sei ein Licht im düsteren Alltagsleben der Hauptstadt.
„Ich nahm sogar diese schreckliche Musik in Kauf“, sagt der Rentner Miroslav Despotovic. Denn alle anderen Medien würden mit einer Partei sympathisieren, jemanden bevorzugen, ob Draskovic, den Chef der Demokratischen Partei, Zoran Djindjic, oder Miloševic. Nur B 92 würde objektiv berichten, dabei alle Informationen sofort und unzensiert bringen.
Wie einflussreich B 92 ist und wie gefährlich der Sender sein kann, zeigte sich während der Massendemonstrationen in Serbien im Winter 1996/97. Damals rief das Radio zu Protesten gegen die Wahlfälschung des Regimes auf und übertrug alle Ereignisse live. Nun organisiert die Opposition wieder Demonstrationen in Serbien, deren Höhepunkte in Belgrad stattfinden sollen. Und genau jetzt kommt B 92 wieder ins Spiel.
„Wir sind wieder zurück. Technisch schwächer, aber moralisch umso stärker. Wir hoffen, dass man uns nicht wieder ausschalten wird“, sagt Chefredakteur Sasa Mirkovic gegenüber der taz. Dabei beteuert er, dass sich Vuk Draskovic ganz sicher nicht in die Informationspolitik einmischen werde. B 92 werde entweder vollkommen unabhängig bleiben oder gar nicht existieren. „Aus der neuen Redaktion kann ich unseren alten, beschlagnahmten Sender sehen“, sagt Mirkovic sehnsüchtig. Die Zeit werde wohl noch kommen, wenn die Redaktion in ihre alten Räume zurückkehren könne.
Alle Beobachter vor Ort sind der Meinung, dass das Ausmaß der für den Herbst angekündigten Demonstrationen in Belgrad das Schicksal von Miloševic und seines Regimes besiegeln wird. Massenkundgebungen in der jugoslawischen Hauptstadt mit oder ohne B 92 im Rücken seien zwei grundverschiedene Dinge. So wie B 92 könne niemand die Stimmung dort beeinflussen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen