: Das Kulturerbe der „Anderen“ auslöschen
■ Ethnische Vertreibung geht im ehemaligen Jugoslawien immer mit der Vernichtung von Gotteshäusern einher
Selbst Gotteshäuser werden im Krieg nicht verschont. Das war in Bosnien so und scheint sich jetzt im Kosovo zu wiederholen. Jüngstes Beispiel dafür ist der Bombenanschlag am vergangenen Wochenende auf die orthodoxe Kirche Sveti Spasa in Priština, wo britische Experten sechs mit Zeitzündern versehene Sprengsätze fanden. Nur zwei der sechs explodierten, sonst wäre von der Kirche wohl nichts übrig geblieben.
Der orthodoxe Mönch Sava aus dem Kloster Decani erklärte am Sonntag, mit dem Bombenanschlag sollte das Kulturerbe der Serben im Kosovo vernichtet werden. Damit hat der Mönch die Beweggründe für solche Zerstörungen nicht nur in diesem Einzelfall, sondern für alle während des Krieges in Ex-Jugoslawien zerstörten Gotteshäuser beschrieben.
Im August 1991 begann die damalige jugoslawische Volksarmee mit der Zerstörung von katholischen Kirchen in Kroatien. Im Dezember 1991 gab es in der damaligen serbischen Republik Krajina – so der Name für die damals von der jugoslawischen Volksarmee und von serbischen Freischärlertruppen gehaltenen Gebietes in Kroatien – kaum noch eine katholische Kirche, die heil geblieben war.
Der Anspruch auf das Land manifestierte sich in der Vernichtung des Kulturerbes der „Anderen“, in diesem Falle der Kroaten. Monumente wurden geschleift, manchmal auch Friedhöfe zerstört. Im Gegenzug wurden in Kroatien einige Dutzend orthodoxe Kirchen zerstört.
Nach der Wiedereroberung der Krajina im Sommer 1995 hatten die kroatischen Soldaten zwar den Befehl, die orthodoxen Kirchen nicht anzurühren. Doch trotz Bewachung hier und dort gingen vielerorts Bauwerke in Flammen auf.
In Bosnien-Herzegowina taten sich die serbischen Soldaten und Freischärler mit der Zerstörung von Moscheen und den Klöstern der Franziskaner hervor. Allein bis 1995 wurden in Bosnien 870 Moscheen zerstört, manche Institutionen gehen sogar von noch höheren Zahlen aus. Die berühmte und als Kulturerbe der Welt ausgewiesene Ferhadija-Moschee in Banja Luka wurde gesprengt. Bis heute ist es den Muslimen von den dort herrschenden serbischen Behörden nicht erlaubt, die Moschee wieder aufzubauen. Auch die kroatischen Armeen vernichteten rund 50 Moscheen, die Kennzeichen des von nationalistischen Kroaten und Serben gleichermaßen verhassten Islams. Dagegen blieben die religiösen Monumente der „Anderen“ während des Krieges bis 1995 von den Muslimen weitgehend verschont. Später jedoch wurden auch dort einige Kirchen in Brand gesteckt.
Die meisten orthodoxen und katholischen Kirchen stehen in den muslimischen Mehrheitsgebieten Bosnien-Herzegowinas noch. Manche sind angesichts der Flucht der Gläubigen verschlossen, die Fenster sind mit Brettern zugenagelt. In den meisten intakten Gemeinden werden inzwischen wieder Gottesdienste abgehalten.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass Moscheen und Kirchen dort vernichtet wurden, wo das Land zwischen den unterschiedlichen Nationen umstritten war. Serbien wie auch Kroatien, Miloševic wie auch Tudjman, führten in Bosnien einen Aufteilungskrieg, sie beanspruchten beide bosnische Territorien. In den beanspruchten Gebieten wurden die Moscheen zerstört.
Es bestätigt sich also, was der orthodoxe Mönch Sava in Priština erklärte: Verallgemeinert kann man sagen, dass die Vernichtung der Wurzeln der anderen einhergeht mit den ethnischen Säuberungen, der Vertreibung der Menschen, also mit der Eroberung von Territorium, das als „eigenes“ beansprucht wird.
So entspricht die Vernichtung der religiösen Monumente den Interessen derer, die das Land erobern wollen. Die serbischen Truppen haben seit Frühjahr 1999 im Kosovo wiederum Hunderte von Moscheen zerstört. Die katholischen Kirchen wurden hingegen verschont; im Raum Prizren lebt eine katholische albanische Minderheit, und hier befindet sich das Stammhaus Mutter Teresas.
Schon im vergangenen Jahr haben auf der anderen Seite einige abgelegene orthodoxe Kirchen gebrannt. Mönch Sava brachte diese Schandtaten der UÇK an die Öffentlichkeit. Seit dem Einmarsch der Nato jedoch blieben die meisten Klöster und Kirchen unberührt. Nicht nur Ibrahim Rugova erzählt gern, dass über die Jahrhunderte gerade die wichtigsten orthodoxen Klöster von Albanern bewacht und zum Teil auch instand gehalten wurden. Mit Lokalpatriotismus preisen viele Albaner in Pec das dort befindliche, kulturhistorisch besonders wertvolle orthodoxe Kloster der Stadt.
Doch bei nationalistisch denkenden Albanern ist die Tendenz zu spüren, die traditionell vorherrschende Achtung vor den religiösen Kulturgütern der „Anderen“ abzustreifen und sich mit umgekehrten Vorzeichen der Vorstellungswelt der serbischen Extremisten anzugleichen.
Bei dem Sturz des Denkmals von Zar Dusan in Prizren und dem Anschlag auf die im Bau befindliche Kirche Sveti Spasa in Priština tritt jedoch noch ein anderes Element in den Vordergund: Beide Monumente wurden erst 1993 errichtet oder es wurde erst damals mit ihrem Bau begonnen. Sie folgten ebenfalls einem ideologischen Zweck. Mit ihrem Bau sollte der serbische Anspruch auf das Kosovo manifestiert werden. Und so zeigt sich bei Mönch Sava doch noch ein kleiner Widerspruch: Es gilt eben, die ganze Geschichte zu erzählen, will man tatsächlich zum Friedensprozess beitragen.
Erich Rathfelder
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