: Die SPD redet einfach mal so vor sich hin
Blicken Sie auch nicht mehr durch im Wirrwarr des sogenannten Richtungsstreits der SPD? Sie verpassen nicht viel. Nur scheinbar geht es dabei um konkrete Politik. Merke: In der SPD brodelt es. Was? Egal ■ Aus Bonn Bettina Gaus
Das ist ein schöner Satz: „Es ist nötig, für soziale Gerechtigkeit einzutreten. Aber diese ist nur finanzierbar, wenn die Wirtschaft funktioniert.“ Klar, wahr, einleuchtend und nichtssagend. Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe hat es gesagt, aber das ist wohl mehr ein Zufall. Es hätten auch alle anderen sagen können, die sich im sogenannten Richtungsstreit der SPD jetzt zu Wort melden.
Kein Gemeinplatz fällt in diesen Tagen unter den Tisch. „In der Demokratie ist Kritik keine Majestätsbeleidigung und Streit alltäglich“, stellt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse fest. Das ist unbestreitbar. Und weiter? Nichts weiter. Der SPD-Linke Detlev von Larcher kündigt an, die Bundestagsfraktion werde sich dem Versuch widersetzen „aus einer Politik der sozialen Gerechtigkeit eine Politik der sozialen Kälte zu machen“. Allerdings erhebt er keineswegs den konkreten Vorwurf, dieser Versuch fände derzeit statt. Er sagt es einfach nur mal so dahin.
„Zu allgemein gehalten und damit auch missverständlich“, findet SPD-Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner das umstrittene wirtschaftspolitische Thesenpapier von Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem britischen Premier Tony Blair. Worin die Verfasser im Einzelnen missverstanden worden sind, erklärt Schreiner nicht. Aber er sieht seine Partei „am Vorabend einer neuen Programmdiskussion“. Vielleicht hat er Recht. Abends ist es ja oft so dunkel, dass sich Richtungen nur schwer erkennen lassen.
Der Streit innerhalb der SPD weist in überhaupt keine Richtung. Viele haben sich geäußert, aber fast alle haben nur so getan, als hätten sie Position bezogen. Die Stellungnahmen sind geschickt so formuliert, dass sich die jeweilige Meinung aus dem Wortlaut nicht nachweisen, sondern allenfalls erahnen lässt.
Üblicherweise schnurren komplexe Sachverhalte und Zusammenhänge im Lauf einer öffentlichen Diskussion auf Schlagworte zusammen, die dem Thema nicht mehr gerecht werden. Es ist aber eine neue Form des Diskurses, sich die sachbezogene Erörterung gleich ganz zu schenken und sofort mit den Schlagworten anzufangen.
Allerdings spart das viel Zeit. Die Kohorten können sich ohne lange Vorbereitung in gewohnter Schlachtordnung formieren. Verhinderte Feldherren sind virtuell anwesend. Hinter der Forderung des saarländischen Ministerpräsidenten Reinhard Klimmt nach Wiedereinführung der Vermögensteuer vermuten manche den zurückgetretenen Oskar Lafontaine. Andere sehen Bundeskanzler Gerhard Schröder hinter dem Vorschlag von SPD-Fraktionssprecher Peter Struck, die FDP-Pläne zur Einkommensteuerreform aus der Schublade zu holen.
Auf gehts. Die Gewerkschaften finden Strucks Steuervorschläge doof, der Deutsche Industrie- und Handelstag findet die Vermögensteuer doof. Die FDP freut sich über Struck, die Jusos über Klimmt. PDS-Fraktionschef Gregor Gysi erklärt Gerechtigkeit für modern, die SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und Gerhard Glogowski halten Kritik am Kanzler für „unberechtigt“ und „ungerecht“. Nur die CDU ist in Urlaub.
Die wenigen Fachleute, die sich an der Diskussion beteiligen, dringen mit ihren Argumenten nicht durch. Der SPD-Finanzpolitiker Joachim Poß hat in einem ausführlichen Brief an die Fraktion die komplizierte Rechtslage beim Thema Vermögensteuer dargelegt und indirekt Bundeskanzler Schröder widersprochen, der die Entscheidung darüber gern den Ländern überlassen möchte. „Nur wenn man die Grundlagen wirklich kennt, kann man sich überhaupt ein Urteil bilden“, schreibt Poß.
Da hat der Mann etwas missverstanden. Es geht nicht um fachkundige Urteile, es geht um Inszenierungen. Die fundamentalen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Struck über die Einkommensteuerreform schrumpfen in den Fernsehnachrichten zu einem possierlichen Schlagabtausch, der eher die Gefühle der Zuschauer als deren Verstand anspricht. „In der SPD brodelt es“, schrieb der Stern über den harschen Brief von Reinhard Klimmt an den Parteivorstand. Eine präzise Formulierung. Es brodelt. Was? Egal.
Nur scheinbar geht es bei dem Konflikt innerhalb der SPD um konkrete Politik. Tatsächlich wird vor allem über wolkige Absichtserklärungen gestritten. Das Papier von Schröder und Blair erregt die Gemüter, nicht etwa der Regierungsalltag. Selbst der aufmüpfige Klimmt hat zwar mit seiner direkten Kritik an Schröder Mut bewiesen, aber immer dort, wo es in seinem Brief um Einzelmaßnahmen der Regierung ging, seine Zweifel doch lieber in Frageform gekleidet.
Die Zaghaftigkeit der parteiinternen Diskussion über den künftigen Kurs findet ihre Entsprechung im Kabinett. Hat dort jemand eine Meinung zur Steuerpolitik? Rudolf Scharping vielleicht, der seinerzeit als SPD-Fraktionsvorsitzender der Vermögensteuer nicht abgeneigt war? Oder Franz Müntefering, der nach dem Willen von Schröder schon bald eine herausragende Rolle in der Parteiführung einnehmen soll? Nein.
Geäußert hat sich der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel. Er forderte, alle Maßnahmen der Regierung müssten am Kriterium der sozialen Gerechtigkeit gemessen werden. Die Bedeutung dieses Satzes liegt mindestens ebenso sehr im Formalen wie im Inhaltlichen: Vogel hat der Partei eine Überschrift angeboten.
Eine Überschrift ist mehr als ein Schlagwort. Sie muss so aussagekräftig sein, dass sie zur Abgrenzung von anderen Parteien taugt, und so allgemein, dass sich alle Strömungen auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. „Mehr Demokratie wagen“ war eine Überschrift über der Politik von Willy Brandt. „Innovation“ ist ein Schlagwort. Solange die SPD keine Überschrift findet, wird sich ihr Kurs auch weiterhin schwer entziffern lassen.
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