: Zwischen den Räumen
Hommage an Monica Vitti und modernistische Architekturstudien: Das B-Movie zeigt frühe Werke von Michelangelo Antonioni ■ Von Roberto Ohrt
Mit Michelangelo Antonioni verbindet man im Allgemeinen den berühmten Film von 1966, obwohl der italienische Regisseur schon in den 50er Jahren mit verblüffenden Filmen bekannt wurde und seinerzeit eine sehr eigenwillige Filmsprache entwickelt hatte, die mit Blow up leider nicht ihre gelungenste Fortführung fand. Wenn das B-Movie nun im August eine kleine Werkschau mit vier frühen Filmen und einer kleineren Episode veranstaltet, ohne auf das berühmteste Werk zurückzugreifen, so ist das ein kleiner Glücksfall und gleichzeitig eine Hommage an die Schauspielerin Monica Vitti, die in fast allen Filmen in einer bedeutenden Rolle zu sehen ist.
Der früheste Film in der Reihe ist schon deshalb interessant, weil er sich selbst als Zeitschrift vorstellt: Liebe in der Stadt von 1953 besteht aus mehreren Episoden, die wie aktuelle Reportagen eines Magazins ein Thema des alltäglichen Lebens aufblättern. Die halbdokumentarische Fiktion enthält neben Antonionis 35-minütigen Bericht über „Selbstmordversuche“ einen ebenso witzigen wie tristen Beitrag von Fellini über ein „Heiratsvermittlungsbüro“ und den nicht weniger amüsanten Besuch in einem vorstädtischen Tanzlokal, wo Jugendliche ihre ganze Inszenierungskunst aufbieten, um über verschiedene Ungeschicklichkeiten hinweg die Nähe zum anderen Geschlecht herbeizuführen.
Antonionis Reportage zeigt sich einerseits deutlich als ein Produkt des Neorealismus und passt insofern zum Konzept von Film als Forum soziologischer Studien. Andererseits bricht er die Kontinuität der realistischen Erzählung durch Nachfragen der untersuchenden Kamera. Die Stimme aus dem Off setzt ernüchternde Brüche und durch die unmerklich entstehenden Löcher in der Zeit fährt etwas von der Irrealität des Themas heran: die Frage nach den Anderen, die nicht da waren oder zu weit weg standen, und nach der Leere, durch die der Tod hereintreten sollte. Vollkommen abstrakt ist der Raum inszeniert, in dem Antonioni seine Untersuchung beginnen lässt: ein grell beleuchteter Saal, in den die Figuren etwas unmotiviert hineingehen. In diesem Zwischenreich entstehen Bilder von Menschen, wie man sie nur aus der modernen Mode- und Architekturfotografie jener Zeit kennt.
Erstaunlich an den frühen Filmen Antonionis – und das zeichnet eigentlich viele italienische Regisseure aus – ist die Rolle, die die Architektur im Innern und Äußeren der Handlung und des Bildaufbaus übernimmt. Bei ihm wird die Stadt mit ihren alten oder selbstverständlichen Räumen, aber mehr noch mit ihren Neubauten oder Vorstadtvierteln und insbesondere mit ihren monströsen Industriemonumenten zu einer schweigenden Figur. Die rote Wüste von 1963, der einzige Farbfilm der Retrospektive, steigert das Bild der Architektur bis zum lärmenden Extrem. Sie wird zum zentralen Gegenspieler und unerwünschten Spiegel einer Frau, die sich zwischen den Männern und ihrer Arbeitswelt nicht mehr platzieren kann.
Feiner abgestimmt hat Antonioni in den Filmen Die Nacht (1960) und Liebe –62 moderne Architektur zur Bedingung für die Beziehung zwischen Mann und Frau gemacht. Mit ihren Formen und Zeichen erscheint sie im Umfeld der Annäherungen, die als Auftakt zu einer Liebe oder als ihre Rücckehr gedeutet werden wollen. Doch ihre abstrakte Sprache stört diese Deutung, und so wirkt sie wie eine undurchquerbare Leere, in der die Liebenden vergeblich einen Zugang zu ihrem Verhalten suchen. Insbesondere Die Nacht mit Marcello Mastro-ianni und Jeanne Moreau ist wie ein unendlicher Fotoroman aufgebaut, der in den handlungsleeren und andeutungsreichen Seiten eines Modemagazins spielt. Der Film inszeniert mit einem luxuriösen Überfluss an Einfällen für Blickwinkel und Bewegungen, aber auch mit einem verschwenderischen Gefühl für Zeit und das Warten auf Blicke, Reaktionen und Umkehrungen sein aufgeschobenes Ereignis. Die Oberflächen sind ebenso beredt wie stumm, und während in diesem Spiel moderner Räume das Verhalten der Menschen sich mit allen Nebensächlichkeiten entfaltet und allmählich auch nicht mehr an seiner Leichtigkeit vorbeikommt, wechselt der Film manchmal den Schauplatz, als würde jemand die Augen niederschlagen und ohne aufzublicken weitergehen.
Liebe 62 (mit Divina Obesión): Do, 5., Sa, 7. + So, 8. August Die mit der Liebe spielen: Do, 12., Sa, 14. + So, 15. August Die Nacht: Do, 19., Sa, 21. + So, 22. August Die rote Wüste: Do, 26., Sa, 28. + So, 29. August, jeweils 22.30 Uhr, B-Movie
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