Kleine Kriege in Nigeria

■  Es brennt an allen Ecken des Landes. Doch jetzt wird auch der Machtkampf zwischen Nord und Süd gewalttätig

Wie ein Präriefeuer in der Trockenzeit rast die Gewalt quer durch Nigeria. 400 Tote und Eigentumsverluste von umgerechnet 90 Millionen Mark hat es in drei Monaten gegeben. Das sind nur die unzuverlässigen amtlichen Zahlen. In Wirklichkeit wird davon ausgegangen, dass von Mai bis Juli 3.500 Menschen, zumeist Frauen und Kinder, eines gewaltsamen Todes gestorben sind. Eigentum im Wert von 1,8 Milliarden Mark soll zerstört sein.

Während die zornige Flamme der Gewalt das Gesicht der Nation verunstaltet, vernebeln Unehrlichkeit und Desinteresse auf Seiten der Regierung die öffentliche Meinung. Die neue demokratische Regierung ist zwar noch jung, aber viele Beobachter hatten darauf hingewiesen, dass sie die Herausforderung dieser neuen Bedrohungen der nationalen Stabilität anpacken muss.

Stattdessen kümmern sich die Politiker, besonders die gewählten Abgeordneten, mehr um den eigenen Komfort als um die brennenden Themen der Zeit. Die Parlamente debattiere, wie hoch ihre Möbel- und Küchenbudgets sein sollen, während ihre Wähler mit Waffen aufeinander losgehen.

Vor den jüngsten Fällen – Warri im Nigerdelta, Sagamu im Südwesten, Kano im Norden – waren im April die Städte Aguleri und Umuleri im Südosten vollständig in Flammen aufgegangen. Die Regierung des letzten Militärherrschers Abdulsalam Abubakar rückte mit Panzern und Soldaten in die beiden Städte ein. Die Armee benahm sich wie eine Besatzungsmacht. Die Krise eskalierte und wurde mit zunehmender Gewalt unterdrückt.

Auch im Nigerdelta, wo die Bewohner der ölreichen Gemeinden gegen ihre Marginalisierung protestieren, wurde damals noch militärische Macht angewandt. Im Bundesstaat Bayelsa nahm sich die Bevölkerung ein Beispiel an den Ogonis und ging mit Gewalt gegen die großen Namen vor: Shell, Chevron, Elf. Sie terrorisierten die Arbeiter der Ölfirmen, um zu beweisen, dass ihnen das Land gehört, unter dem das Öl liegt. Die „Egbesu Boys“, eine Jugendgruppe mit angeblich magischen Kräften, forderte selbstmörderisch die Armee heraus. Die Zahl der Opfer geht in die Tausende. Aber wie die Ogonis haben sich die Egbesu Boys nur zurückdrängen lassen. Sie können jederzeit wiederkommen.

Im Juni wurde dann die Stadt Warri im Bundesstaat Delta Schauplatz von Auseinandersetzungen. Hier begann der Kampf als ethnischer Krieg. Verhandlungen der Ijaw-Jugendlichen mit ihren Itsekiri-Brüdern über Gleichberechtigung arteten in blutige Konflikte aus.

Die Itsekiris besitzen das Land, der traditionelle König von Warri ist der „Olu“ der Itsekiris; aber sie stellen nur 20 Prozent der 300.000 Einwohner Warris. Die Ijaws sind die Mehrheit und verlangen die Kontrolle. So kam es zur Schlacht um die Alleinherrschaft um die Zugänge zu den natürlichen Reichtümern. Solange die Regierung die Verteilung der Ölgelder nicht verändert – auch in der neuen Verfassung von 1999 behalten die Ölgebiete nur 13 Prozent ihrer Einnahmen – wird dieser Konflikt weitergehen.

Aber während die ökonomisch motivierten Streitigkeiten mit Geld gelöst werden könnten, gibt es jetzt eine neue Art gewaltsamen Aufruhrs, die das Staatsgefüge aufs höchste gefährdet. Schon der Bürgerkrieg von 1967 bis 1970, der aus einem Interessenkonflikt zwischen nordnigerianischen Haussas und ostnigerianischen Ibos herrührte, forderte Millionen Menschenleben und zerstörte 60 Prozent des nationalen Reichtums, außer im Südwesten, wo die Yorubas leben.

Konflikte dieser Art auf kleinerer Ebene hat es seitdem immer wieder gegeben. Doch am 17. Juli begannen schließlich die Ausschreitungen zwischen den beiden größten Völkern des Landes: Yorubas und Haussas. Als in Sagamu im Südwesten Nigerias eine Haussa-Frau von Yorubas getötet wurde – wegen „Disrespekt“ gegenüber einer Yoruba-Prozession – kam es zu einer Woche des Tötens, deren Opferzahl offiziell mit 40 angegeben wurde, inoffiziell mit 200 bis 2.000. Zwei Tage später kam es im nordnigerianischen Kano zu Racheakten von Haussas an Yorubas; 360 Menschen sollen in fünf Tagen gestorben sein, und Flüchtlinge drängten sich in die Kasernen und Polizeibaracken der Stadt.

Hinter dem ethnischen Konflikt sehen manche Beobachter andere Gründe. Der Konflikt brach auf dem Höhepunkt eines Skandals um Parlamentspräsident Ibrahim Buhari aus, ein Nordnigerianer aus Kano, wo er sehr beliebt ist, und der höchste Haussa in den neuen Institutionen des Landes. Die Yoruba-Presse aus Lagos fand heraus, dass er von vorne bis hinten gelogen hatte, um den Posten zu kriegen – von falschen Altersangaben bis zu gefälschten Schulabschlüssen. Buhari musste zurücktreten.

Das sahen manche Haussas, die sich ohnehin nach den Säuberungsaktionen des Yoruba-Präsidenten Obasanjo im Militär diskriminiert fühlten, als ein Ruf zu den Waffen. Nicht zufällig traf die Gewalt die Städte Sagamu und Kano, die zwei berühmtesten Beispiele friedlicher Koexistenz zwischen Yorubas und Haussas in Nigeria.

Das dritte Beispiel ist Lagos – hier fürchten nun manche, dass die schnell unterdrückte Schlacht von Sagamu und Kano neu explodiert. Noch ist wenig passiert, außer einigen kleinen Zusammenstößen zwischen militanten Yorubas und Ijaws aus dem Nigerdelta. Aber die Stadtregierung von Lagos trifft bereits Sicherheitsvorkehrungen und warnt oft und scharf, der Frieden müsse erhalten bleiben. Jahman Anikulapo