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Der größte Störenfried heißt Frank Zander

■ taz testet die Liga (IX): Hertha BSC stabilisiert Abwehr und stärkt Offensive

Wird Fußball gespielt?

Eine Frage der Definition. Richtigen Fußball gab es beim 2:1 gegen den FC Barcelona am Freitag zu bewundern, als Kluivert und Figo in der zweiten Halbzeit den Rasen betreten hatten. Von solchen Weltklassespielern kann Hertha BSC auch in Zeiten der Champions League nur träumen, also muss man sich anders helfen. Der Star ist das System. Schnelles Umschalten von Abwehr auf Angriff und umgekehrt. Variables temporeiches Spiel, häufig über die Flügel, überraschende Positionswechsel, Pässe in die Tiefe. Das klappte schon in der letzten Saison zumindest im eigenen Stadion recht gut, die Neuverpflichtungen statten Trainer Jürgen Röber mit einer erklecklichen Zahl zusätzlicher Optionen aus, vor allem in der Offensive.

Wie funktioniert das 3-5-2?

Nach Belieben auch als 4-4-2, mit Kjetil Rekdal als Libero vor oder hinter den Manndeckern Sverrisson, Herzog, Rehmer, die aber bei Bedarf auch als genuine Viererkette im Raum operieren können. Im Mittelfeld herrscht gewaltiges Gedränge und es könnte gut sein, dass die Plätze nach der Zahl der zurückgelegten Kilometer vergeben werden, denn extensive Laufarbeit sämtlicher Akteure auf dem Platz ist unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren des Systems. Besonderes Gewicht liegt auf den Außenbahnen, da mit Neuzugang Ali Daei nun neben Michael Preetz ein zweiter Mann stürmt, der fast ausschließlich von Flanken lebt.

Wer hilft?

Manager Dieter Hoeneß, der seinen Managerposten so versieht wie früher den des Mittelstürmers. Ohne Schnörkel, mit Bärenruhe und mit Köpfchen.

Wer stört?

1. Die Musik. 50.000 Menschen, die mit Frank Zander „Nur nach Hause gehn wir nicht“ grölen, und ein besonders gruseliges neues Hertha-Lied machen jeden Stadionbesuch zu einem derartigen kulturellen Martyrium, dass man sich am liebsten in einen Schalensitz verwandeln möchte.

2. Der dritte Platz aus der Vorsaison. Mit weniger wird sich in Berlin niemand zufrieden geben.

3. Anorthosis Famagusta, das den Herthanern in der Champions-League-Qualifikation die Saison vermasseln könnte, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat.

4. Nicht mehr: Robert Schwan.

Taugt der Trainer?

Seit ihm ein Sieg gegen den Karlsruher SC vor zwei Jahren den Job rettete, hat Jürgen Röber kaum etwas falsch gemacht, ist dank der Millionen von der Ufa allerdings auch in der glücklichen Lage, jeden Fehleinkauf prompt wieder ausbügeln zu können. Ein Grandseigneur wie Trapattoni wird er nie werden, dafür weiß er im Gegensatz zu diesem, dass Fußball nicht destruktiv gespielt werden muss, um erfolgreich zu sein.

Taugt der Torwart?

Absolut. Und zwar zum Diskuswerfer. Ein Torwart, der den Ball fast bis zum gegnerischen Strafraum schleudern kann, hat seinen Beruf verfehlt, sollte man meinen. Doch Gabor Kiraly kann nicht nur weit werfen und schießen, Flanken mit einer Hand fangen und in Hosen herumlaufen, die eigentlich eine sofortige rote Karte wegen unsportlicher Optik verdient hätten, sondern er hält auch wie eine gesengte Sau.

Was tun die Neuen?

Bei Röbers Hang zum Bewährten wohl erst mal auf der Bank sitzen. Für Michalke, Deisler, Konstantinidis wird es nicht leicht werden, solch fleißige Leute wie Hartmann, Tretschok, Thom, Schmidt oder den allerdings noch verletzten Veit zu verdrängen, nur Ali Daei ist gesetzt. Wichtigster Neuzugang ist jedoch der ebenfalls noch verletzte Marco Rehmer, der vor allem auf internationaler Ebene dringend gebraucht wird, da die Abwehr mit Herzog, Rekdal und Sverrisson doch ziemlich hölzern daherkommt. Das kann sich bei der offensiven Ausrichtung gegen schnelle Angreifer leicht als fatal erweisen.

Wie schießt man Tore?

Nach wie vor durch Michael Preetz. Möglicherweise aber auch Ali Daei, wenn der es lernt, nicht immer genau dorthin zu laufen, wo sein Sturmpartner schon ist.

Wer ist der Beste?

Wenn er in Form ist, Dariusz Wosz. Bei ihm läuft das Spiel zusammen, er ist derjenige, der mit überraschenden Aktionen die gegnerische Defensive ausmanövrieren kann, so dass sich Räume für den entscheidenden Pass öffnen.

Folge:

Wie schon vor der letzten Saison sind Hoeneß und Röber mit ihren Neuverpflichtungen konsequent den Schwachstellen der Mannschaft zu Leibe gerückt. Durch Rehmer stabilisiert sich die Abwehr, mit Daei, Michalke, Konstantinidis ist man torgefährlicher geworden, nachdem im Winter schon Aracic und Reiss den Sturm verstärkten. Das Berliner Publikum darf sich auf offensiven Fußball und Tore freuen, aber auch auswärts ist mit selbstbewussterem Auftreten und größerer Stabilität zu rechnen, was besonders auf europäischer Ebene essentiell ist.

Gefühlter Tabellenplatz: 4

Matti Lieske

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