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Züge der Verbitterung und Hartherzigkeit

■ „Kalmans Geheimnis“ zeichnet ein Porträt der Chassidim im Antwerpen der 70er Jahre

Chaja ist ein bisschen fahrig. Sie hat den falschen Freund und den falschen Job. Eigentlich studiert sie Philosophie, interessiert sich wenig für ihre Eltern, hasst alles Jüdische und lacht zu laut. Doch wenn der scheue fünfjährige Simcha Kalman sie ansieht, schmilzt ihr ganzes Getue.

Die Kalmans sind chassidische Juden und halten sich streng an traditionelle Gebote. Sie tragen keusche Kleider, und als Chaja bei ihnen als Kindermädchen in kurzem Rock antritt, beschimpft Herr Kalman sie als Hure. Dennoch bemerken die frommen Eltern, dass die unorthodoxe Studentin ihren verschüchterten Sohn Simcha zum Lachen bringt. Das Kind beflügelt Chaja, nun auch selbst Tuchfühlung mit ihrer jüdischen Herkunft aufzunehmen.

Regisseur Jeroen Krabbé zeichnet die Chassidim im Antwerpen der 70er Jahren mit Zügen der Verbitterung und Hartherzigkeit. Mit dem Krieg hätten die Juden sich selbst verloren, sagt Chajas Vater. Vordergründig vermisst er zwei Koffer, die er vor seiner Deportation vergraben hatte, doch hinter der Suche nach den Erinnerungsstücken, ebenso wie hinter dem starren Festhalten der Kalmans an ihren orthodoxen Bräuchen und Regeln, steckt die Gefühlskälte ausgebrannter Menschen.

Klug verwebt der Film Ort und Zeit der Handlung zu einem Gleichnis: Die Kalmans haben sich als einzige jüdische Mietpartei gegen die Kündigung aus einem Bürgerhaus der flämischen Altstadt gewehrt. Im Flur bewacht ein Höllenhund von Hausmeister argwöhnisch ihr Kommen und Gehen. Die ungeliebten Mieter bereiten unterdessen das Passah-Fest vor, zum Gedenken an den Auszug der Juden aus Ägypten. Sie essen zur Feier ungesäuertes Brot, Symbol der Eile. Doch die Zeichen des Aufbruchs sind in der Tradition versteinert. So wie die Hausfassade mit ihren Stuckornamenten die kalte Leere im Innern verbirgt, so kontrastieren Schläfenlocken und Gebetsständer die Sprachlosigkeit der Holocaust-Überlebenden. Auch Simchas aufblühende Lebensfreude ist schnell wieder in Gefahr.

Der Film ist kein Dokument eines jüdischen Milieus. Die Szenerie hat eher Postkartencharakter. Jede Person, ob holzschnitthaft skizziert oder sensibel ausgeleuchtet, versinnbildlicht eine andere Form der Verstummung: Simchas Einschüchterung durch seine strenge Erziehung. Herrn Kalmans Traumatisierung durch das Konzentrationslager oder auch Chajas Distanz gegenüber ihren Eltern und der Religion.

Dass der Film ein Aufweichen solcher Verhärtungen spürbar macht, verdankt er einer insgesamt souveränen Schauspielarbeit. Unter Krabbés Regie spielt nicht nur die römisch-katholische Isabella Rossellini eine überzeugende Chassidin, sondern auch der fünfjährige Adam Monty eine bravouröse Hauptrolle als flügge werdendes Kind. Rainer Bellenbaum

„Kalmans Geheimnis“. Regie: Jeroen Krabbé. Mit Laura Fraser, Maximilian Schell u. a. Niederlande 1998, 96 Min.

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