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Elektronisches Ticketieren

Mit einem Großversuch will die BVG neue Wege in der Fahrpreiserhebung und der Fahrkartenkontrolle beschreiten. Eine Chip-Karte macht's möglich  ■   Von Martin Kaluza

Im Oktober gibt die BVG im Rahmen eines drei- bis sechsmonatigen Großversuchs an 25.000 Berliner statt der üblichen Monatskarten aus Papier Chipkarten aus. Die Testtickets sehen so ähnlich aus wie eine Telefonkarte, haben aber einen entscheidenden Unterschied: In das Plastik ist eine Induktionsschleife eingeschweißt. Über sie kann von einem Lesegerät eine Verbindung zum Chip hergestellt werden, ohne dass die Karte selbst mit dem Empfänger in Berührung kommt. Rund 12 Millionen Mark lassen sich BVG und S-Bahn den Versuch kosten.

Die BVG möchte die Gunst der Stunde nutzen und zum Jahr 2002 den gesamten Betrieb auf das elektronische System umstellen, vorausgesetzt, es erweist sich als alltagstauglich. Wenn in zweieinhalb Jahren die Barzahlung von D-Mark auf Euro umgestellt wird, wären ohnehin neue Fahrkartenautomaten fällig. Der BVG-Vorstandsvorsitzende Rüdiger vorm Walde kombiniert: „Wenn wir ohnehin investieren müssen, investieren wir gleich in etwas Neues.“ Allein die Umrüstung der Anlagen und Fahrzeuge der BVG würde um die 250 Millionen Mark kosten. In der Bundesrepublik arbeiten die Verkehrverbünde in Frankfurt am Main und Köln/Bonn bereits an ähnlichen Projekten.

Und so funktioniert der elektronische Fahrschein: Jeder Fahrgast bekommt eine Chipkarte, die vor der Fahrt aufgeladen wird. Vor und nach jeder Fahrt sowie beim Umsteigen muss die Karte in höchstens zehn Zentimeter Entfernung an ein Lesegerät gehalten werden. Dadurch wird jede Fahrt genau erfasst und der Fahrpreis abgebucht. Die Kontrolleure werden mit Lesegeräten ausgestattet und können feststellen, wann der Fahrgast das letzte Mal eingecheckt hat. Während des Großversuchs wird das allerdings nur simuliert: Das Ticket gilt als Monatskarte für den Tarifbereich AB – wenn es an den Lesegeräten registriert wird, bucht es nur simulierte Fahrten ab.

Für die Fahrgäste hat das neue System den Vorteil, dass sie sich nicht mehr mit dem Tarifwirrwarr auskennen müssen. Vorm Walde betont: „Mit dem Fahrschein soll automatisch der jeweils günstigste Tarif abgerechnet werden.“ Die Tarifstruktur selbst muss dadurch zwar nicht unbedingt durchschaubarer werden. Aber die Kunden brauchen nicht mehr grübelnd vor den Klauseln und Fußnoten der Tarifaushänge zu stehen, weil ihnen das System die Arbeit abnimmt.

Beispielsweise sollen die Ergänzungsfahrscheine in weitere Zonen bald der Vergangenheit angehören. Dasselbe könnte für die Überlegung gelten, ob sich denn im nächsten Monat eine Monatskarte wirklich lohnt. Studenten und andere Fahrgäste mit Anrecht auf Ermäßigung bekommen einen entsprechenden Vermerk auf den Chip gespielt. Damit das Ganze trotzdem durchschaubar bleibt, können die Kunden an Infoterminals eine Übersicht über die letzten Fahrten abrufen. Wolfgang Schwenk vom BVG-Marketing ergänzt: „Dadurch, dass das System so einfach in der Handhabung ist, wollen wir die Zugangsschwelle herabsetzen.“

Der Chip auf dem neuen Fahrschein entspricht einem Standarddesign, auf das sich die Banken geeinigt haben, und wird dadurch universell einsetzbar. Die BVG plant das neue System mit dem Technologiekonzern Motorola und dessen australischen Partner ERG. Wenn andere Städte in Deutschland ebenfalls auf elektronische Fahrscheine desselben Standards umstellen, könnte man sein Berliner Ticket auch auswärts benutzen, so wie das heute bereits mit Telefonkarten geht. Darüber hinaus ließe sich auf dem Chip auch eine Geld- oder Telefonkartenfunktion aktivieren, wenn der Kunde dies wünscht.

Die elektronischen Fahrscheine würden nicht zuletzt der BVG selbst eine Reihe von Vorteilen bringen. So wären aufwendige Verkehrszählungen und Hochrechnungen von Fahrgastzahlen nicht mehr nötig, wenn jede einzelne Fahrt genau erfasst würde. Das würde nicht zuletzt die Aufteilung der Einnahmen im Verkehrsverbund vereinfachen, um die bisher Jahr für Jahr umständlich gefeilscht wird: „Mit dem elektronischen Ticketing können wir jeden Tag um Mitternacht Kassensturz machen“, freut sich vorm Walde. Die um die sechzig Fahrgastzähler könnten, so vorm Walde, „vom Betriebsdienst in die Fahrgastbetreuung verlegt werden.“

Außerdem würde sich für die BVG die Kapazitätsplanung vereinfachen. Man hätte zuverlässige und aktuelle Daten über die Auslastung der verschiedenen Linien. Wenn man es geschickt anstellte, können solche Daten dazu genutzt werden, das Angebot attraktiver zu machen, und das käme letzten Endes auch wieder den Kunden zugute. Ob diese das Angebot annehmen, soll sich nun im Großversuch zeigen.

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