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Rätselstunde vor der Magnettafel

taz testet die Liga (XIII): Weil den Dortmunder Borussen das ultimative Spielsystem fehlt, versucht es Trainer Skibbe mit dem „flexiblen System“    ■ Von Ulrich Hesse-Lichtenberger

Das Geräusch, das man am Mittwoch in München und Leverkusen hören konnte, kam aus Dortmund und war ein Aufatmen. Der strapaziöse 1:0-Sieg im Hinspiel der Champions-League-Qualifikation beim FK Teplice durch ein Tor von Christian Nerlinger (66.) bedeutete den zweiten Auswärtserfolg des BVB hintereinander (Gladbach und Teplice), und nach dieser unheimlichen Serie geht die Borussia mit kontrolliertem Optimismus in die Saison.

Wird Fußball gespielt? Es MUSS einfach gespielt werden! In der Mannschaft sind so viele technisch starke und kombinationssichere Fußballer, dass ein weiteres Jahr Kampfsport nicht hinnehmbar ist.

Wie funktioniert das „flexible System“? Vor zwei Monaten hieß es noch, je nach Gegner und Spielsituation sei ein 4-4-2 (mit Dédé und Barbarez auf links, Reuter und Ricken auf rechts) und 4-3-3 (mit But im Mittelfeld und dafür Möller im Sturm) ebenso gut möglich wie das klassische 3-5-2 oder das neuerdings populäre 3-4-3. Dieses „flexible System“ sollte Grundfragen wie „Kette oder Libero?“ dadurch lösen, dass man sich auf nichts festlegt. In der Vorbereitung reduzierten sich die Experimente aber auf die zwei letzten Varianten. Zum Schluss liefen erst Reuter, dann gar Feiersinger wieder als Libero auf. Skibbe wird noch viele Stunden rätselnd vor der Magnettafel verbringen.

Wer hilft? Seitdem die Stimmung in Dortmund gereizter geworden ist, bewahren nur zwei einen kühlen Kopf und ein Lächeln auf den Lippen: Der stets bemühte Pressesprecher Josef Schneck und Bomber Wiegand – Busfahrer, Zeugwart, Verpflegungskünstler und lebende Legende in einer Person. Bei Kommunikationsproblemen hilft der Ghanaer Otto Addo: Niemand im Kader spricht ein besseres Deutsch.

Wer stört? Zunächst mal der übliche Verdächtige Andreas Möller, der natürlich dort spielt, wo der Trainer ihn hinstellt – solange damit nicht Abwehr, defensives Mittelfeld oder Sturm gemeint ist. Dann hätten wir Fredi Bobic, der vielleicht in Sammers Rolle als Grantler auf dem Grün schlüpfen könnte. Echte Probleme wird jedoch schon bald Lars Ricken bereiten, der ein Jahr lang ohne Murren den Hanswurst auf rechts gegeben hat und nun aufpassen muss, dass er dort nicht vergessen wird. Sollte er sich beschweren, rutscht er entweder auf die Bank oder in Möllers Position. Womit wir wieder beim Anfang wären.

Taugt der Trainer? Wenn man das wüsste, wäre vieles einfacher. Im vergangenen Jahr teilte die Trainerfrage das Publikum in Gutgläubige, die den Spielern alle Schuld gaben, und in Wadenbeißer, die Skibbes Entlassung sogar forderten, während die Mannschaft gerade Kaiserslautern schlug. Nun muss der Coach den Zweiflern beweisen, dass es in der Tat am alten Personal lag, dass er seine Ideen nicht umsetzen konnte – und nicht etwa daran, dass er keine hat. (Immerhin hat Skibbe schon mal Zeichen gesetzt und erst seinen Schnurrbart, dann den Trainingsanzug abgelegt.)

Taugt der Torwart? Dies ist – der Position entsprechend – eine Fangfrage. Natürlich ist Jens Lehmann ein starker allerletzter Mann, aber es bleibt abzuwarten, wie oft Teddy de Beer im Tor steht, weil die Nummer eins eine Sperre absitzt. In der letzten Saison sah Lehmann in Rostock Rot, hätte auch gegen Kaiserslautern vom Platz gestellt werden müssen und fiel nicht selten durch Unbeherrschtheit auf. Vielleicht hat er eine Wette mit Oliver Kahn laufen.

Was tun die Neuen? Bis vor kurzem waren die meisten bei Orthomed oder im Sonnenblick. Ersteres ist das Rehazentrum, das direkt neben dem Trainingsgelände liegt. Dort konnte man an milden Tagen schon mal Fredi Bobic, Otto Addo oder Sead Kapetanovic bei der Körperpflege antreffen. Letzteres ist die benachbarte Kleingartenanlage, in der Victor Ikpeba seine Runden drehte, um endlich so etwas wie Kondition zu bekommen. (Was Christian Wörns den Sommer über getan hat, war trotz penibelster Recherche nicht herauszubekommen.)

Wie schießt man Tore? Den Siegtreffer besorgt der spät eingewechselte Heiko Herrlich. Zuvor haben Ikpeba, Bobic oder Möller das von der Abwehr verschuldete Führungstor des Gegners egalisiert. Ansonsten halten But und Nerlinger drauf. Irgendwas geht immer.

Wer ist der Beste? Der Beste ist ein schmächtiger Brasilianer, der kaum größer als eine Eckfahne ist, nur einen Fuß zu haben scheint (den linken) und der zu Beginn seiner Zeit beim BVB erst von Verletzungen, dann von der Kälte außer Gefecht gesetzt worden war. Die Kurzform dieser Beschreibung ist der im Westfalenstadion am häufigsten gehörte Ruf: Allez, Dédé!

Folge: Die Umstände können gar nicht so problematisch werden, dass der BVB nicht trotzdem oben mitspielt.

Gefühlter Tabellenplatz: Der BVB robbt, hinter wem auch immer, als Zweiter über die Ziellinie.

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