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Training für draußen

■  Mouse On Mars sind Elektroniker, die ihre Stücke selber entscheiden lassen, wie sie werden wollen. Das ist so demokratisch, dass die Revolution vielleicht doch noch kommt

Das, was uns in der Musik von Mouse On Mars aus Prinzip nicht gesungen wird, erzählen Jan Werner und Andi Toma in Interviews. Gern auch ein bisschen mehr. „Wir hatten lange genug die Möglichkeit zu behaupten, dass das, was wir machen, Hand und Fuß hat, dass wir ganz solide Arbeit machen und dass das auch Popmusik ist“, sagt Werner. Und die Welt hörte willig zu. Nicht nur hier, auch in England und Japan und den USA.

Inzwischen haben die beiden so viel Überzeugungsarbeit geleistet, dass sie ihr neues Album „Niun Niggung“ aus gesichertem Status heraus veröffentlichen können. Sie haben den Boden bereitet für eine ganze Generation, die sich an den Überlappungen zwischen Dancefloor und Independentrock, Ambient und Dub und Techno und House, zwischen Gitarre und Sampler abarbeitet. Plötzlich konnte und durfte jeder alles und alles auf einmal. Dafür hagelt es nun Titelgeschichten und Würdigungen des Gesamtwerks, wie man sie sonst für altgediente Rockdinosaurier kennt.

Der Erfolg kam nicht in Waggonladungen, aber doch so, dass man nach den Anfängen 1994 „relativ schnell von der Musik leben konnte“, es zum eigenen Studio im heimischen Köln reichte und zur Unabhängigkeitssicherung durch das eigene Label Sonig. Zwischen den einzelnen Alben häufen sich zwar regelmäßig die Schulden, aber der nächste Vorschuss kam bislang noch immer rechtzeitig. So „darf man mitreden“, hat Werner festgestellt, „und hat auch Erfolg im Rahmen, dass das Goethe-Institut wieder jemanden hat, den es wohin schicken will“.

Dabei, das muss man sich vorstellen, sitzen die beiden ganz entspannt an einem der heißesten Tage des Sommers im lauschigen Hof eines schicken Berliner Hotels und essen in Sahne gedünsteten Kohlrabi. Man kann mit Werner und Toma ausführlich über musikalische Ästhetik, Arbeitsweisen, Produktionsbedingungen und den Zustand von Pop im Allgemeinen diskutieren und dabei ganz leicht überhören, dass das Projekt Mouse On Mars eigentlich nur im Nebeneffekt dem Vorantreiben elektronischer Musik dient.

Dann aber kommt es: „Wir glauben auf jeden Fall daran“, sagt Werner, „dass Musik doch vielleicht politisch sein könnte.“

Das ist, gelinde gesagt, aktuell keine allzu oft vertretene Position. Unlängst hat der Mainstream Chumbawamba geschluckt und verdaut, ohne dass sich bisher Magengrimmen andeutet. Stattdessen wurden die traurigen Helden der poptheoretischen Revolution aus den 80ern wie Scritti Politti und Prefab Sprout in den letzten Jahren wieder vorgeführt, wie um noch einmal in Erinnerung zu rufen, wie kläglich sie scheiterten.

Mal wird geschrieben, Mouse On Mars würden klingen wie eine Spielzeugmesse, ein ander Mal, ihre Musik sei nicht auszuhalten. Dem amerikanischen Rolling Stone fielen gar nur mehr Klischees ein. Dort meinte man anlässlich des 97er-Albums „Autoditacker“: „the Germans do love their machines“. Und empfahl der Leserschaft das Hören beim „cruising down the autobahn“.

Mitten in dieser Beliebigkeit wollen Mouse On Mars nichts weniger als die Welt verändern. „Vielleicht stellt sich irgendwann nicht mehr die Frage“, hofft Werner, „wie stelle ich denn dem Leser die Mouse-On-Mars-Welt dar, vielleicht überdeckt sich das irgendwann einmal, und dann knallt es.“ Dann werden alte Fragen neu gefragt, alles noch mal überdacht, Systeme brechen zusammen und werden neu zusammengesetzt: Die Welt beginnt von vorne.

Mancher Kritiker hat Mouse On Mars schon früher gelobt für die „Enthierarchisierung der Töne“. Wenn dem wirklich so wäre, dann könnte die Musik, wie Toma glaubt, tatsächlich „ein bisschen wie ein Trainingslager für das Draußen“ werden. All das klingt gut, aber wie klingt das eigentlich? Kann man die Revolution hören? Traurig, aber: nein. Auch auf ihrem vierten regulären Studioalbum bleibt Musik noch Musik. Ja, selbst Mouse On Mars bleiben Mouse On Mars. Was man allerdings unschwer hören kann in „Niun Niggung“ ist das Bemühen, Klischees zu umgehen. Nur hat sich diese Sisyphusarbeit inzwischen verdoppelt. Waren sie bisher hauptsächlich damit beschäftigt, Strukturen und Rituale der Geschichte der populären Musik zu vermeiden, müssen sie inzwischen gegen das anprogrammieren, was die Welt von der Institution Mouse On Mars erwartet. Also werden die Tracks des Öfteren in dem Moment, in dem sie zu kuschelig zu werden drohen, von fiesen Sounds erschüttert.

Ansonsten ist weiterhin Veränderung das oberste Gebot. Kein Takt gleicht exakt dem vorhergegangenen. Man hört, warum die beiden von der Plattenfirma regelmäßig gezwungen werden müssen abzuliefern, denn eigentlich wird nie etwas fertig. „Wir sind auf der Suche“, so Toma.

Eh ist es so, dass „das Stück selber entscheidet, wie es werden will“. Also remixt man sich in einem endlosen Prozess weiter oder, wie Werner und Toma es wohl selbst sehen würden, beobachtet die Musik dabei, wie sie sich selbst remixt.

So lange, bis Musik wird wie Welt und auch die bereit ist, sich endlich remixen zu lassen. Warum schließlich, fragt Werner, „kann nur die Musik so funktionieren, aber das Leben nicht“? Vielleicht ja tatsächlich nur, weil es noch niemand probiert hat. Thomas Winkler

Mouse On Mars: „Niun Niggung“ (Sonig/Our Choice/RTD)

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