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Bloß kein deutscher Baron

■ Das Bremer Lehrerpaar Korol soll eine deutsche Schule in Estland aufbauen. Ein erster Zwischenbericht über diese Mission, deutsche Tapsigkeit und estnische Sonnenseiten

Bevor Schulleiter Martin Korol an seinen derzeitigen Arbeitsbedingungen verzweifelt, wird er lieber deutlich. Dann wirft der Bremer seinem estnischen Direktoren-Kollegen vor: „Du verhältst Dich wie ein deutscher Baron.“ Doch während der Geschichtslehrer Korol als Leiter der deutschen Abteilung am Gymnasium des beschaulichen Beamtenstädtchens Tartu alles daran setzt, bloß nicht wie eine deutsche Karikatur im Baltikum aufzutreten, amüsiert sich der estnische Kollege über solche Vergleiche – und lässt den Deutschen weiter zappeln. „Seine Macht gefällt ihm“, sagt Korol grimmig über den rund 20 Jahre jüngeren Kollegen, der ihm dies und das und jenes an Unterstützung vorenthält. Obwohl Estland noch zu Beginn das Jahrhunderts eines der modernsten Schulsysteme Europas hatte, haben seine Schulleiter – nach jahrzehntelangem Sowjeteinfluss – heute was mit ihren europäischen Kollegen gemein, findet Korol.

Zu solchen Einsichten ist der Deutsche unter anderem bei Schulleiterversammlungen in Tartu gekommen. „Dort setzen die Schulleiter sogar willkürlich das Gehalt der Lehrkräfte fest – zu 90 Prozent Frauen.“ Mit wichtiger Miene spielt Korol: „Frau M., leider haben sie diesen Monat nicht gut gearbeitet. Dafür gibt es Abzug.“ Seit er selbst vor zwei Jahren nach Tartu kam, um dort in offizieller deutscher Mission die Deutsche Abteilung am Raatuse-Gymnasium aufzubauen, hat er viel Ungewohntes erlebt. Doch weder das strenge Arbeitgeberbewusstsein der anderen Schulleiter, noch Korols eigene Distanz zum stark sowjetisch geprägten Bildungssystem oder sein kollegialeres Management machen ihn für das estnische Kollegium irgendwie sympathischer. Im Gegenteil, folgert der Bremer. Zum Unterrichtsstil der deutschen Abteilung mit 120 SchülerInnen erntet er Kommentare wie: „Ihr spielt im ja bloß.“ Dabei soll er bis 2003 eine erste Generation Jugendlicher im 100.000 Seelen-Städtchen Tartu fit im Sinne der deutschen Hochschulreife machen. „Im estnischen Schulsystem ist das nicht einfach“, sagt der Deutsche. „Da gehen alle Schüler derselben Altersstufe in eine Klasse. Das System ist nicht differenziert.“

Um jeden Zentimeter neuer deutsche Schule muss Korol kämpfen. Den estnischen KollegInnen macht er ihre Widerborstigkeit aber nicht zum Vorwurf. Eher dem deutschen Außenministerium. „Das Projekt ist zu früh gestartet“, sagt Korol. „Nach deutscher Art ungeschickt oktroyiert.“ Auch von „Tapsigkeit“ spricht er. Und davon, dass er auch schon darüber nachgedacht hat, die ganze Sache abzublasen.

Gründe dafür entdeckte er genügend. Kurioserweise liegen diese offenbar am wenigsten in den schwierigen Bedingungen, unter denen er und die vier weiteren KollegInnen des deutschen Kollegiums den Unterricht für die 120 SchülerInnen abhalten. „Wir haben für fünf Leute eineinhalb Unterrichtszimmer“, sagt er. In Estland dagegen habe für gewöhnlich jeder Lehrer ein „Kabinett“, einen Unterrichtsraum, in dem die Klassen, die er unterrichtet, stündlich wechseln, er selbst aber bleibt. „Wir unterrichten deshalb da, wo frei ist“, sagt Korol. So führen das deutsche Unterrichtssystem – mit seinen wandernden Lehrkräften – und das estnische – mit dem festgelegten – eine Koexistenz. Das Problem: Sie ist nur vordergründig friedlich.

„Wir sind ungebetene Gäste“, sagt Korol. „Jeder Lehrer, der für die deutsche Abteilung arbeitet, wird dem Personalbestand des estnischen abgezogen.“ Im Klartext heißt das: Der Aufbau der deutschen Schule in Tartu kostet einheimische Lehrer Arbeitsplätze. „Das macht untergründig Stimmung.“ Martin Korols stärkste Verbündete bei der Durchsetzung von, wie er selbst findet, durchaus ambivalenten deutschen Interessen im Osten, ist heute seine Frau Herta Korol. Eine altmodische, wenn nicht frauenfeindliche Marotte des deutschen Auslandsschulwesens – die Ablehnung beruflichen Engagements mitausreisender Lehrer-Ehepartner – brachte sie ungewollt in diese Position.

„Ich wollte nie weg von meiner Schule in Bremen“, berichtet die zierliche Frau. „Ostfriesische Bodenständigkeit“ attestiert ihr darüber spaßeshalber der Ehemann. Seinem Fernweh gab sie schließlich, wenn auch begrenzt, nach. In Bremen lässt die Chemie- und Biologielehrerin sich nämlich nur von Jahr zu Jahr beurlauben. Auf die Kölner Behörde, die ihren Mann in eine Schulleiterposition – samt entsprechendem Gehalt plus 4.000 Mark Auslandszulage –, sie selbst aber ins berufliche Aus katapultieren wollte, war sie lange „sehr sauer“. Angesichts der Schwierigkeiten, auf die das Paar beim Aufbau der auslandsdeutschen Schule allerdings stieß, sieht Herta Korol das strenge Ehepartner-Reglement heute gelassener. „Es ist nicht einfach, in einem kleinen Kollegium die Frau des Schulleiters zu sein“, sagt sie. Ihre auf wenige Stunden beschränkte Lehrtätigkeit biete Freiheiten, die sie mittlerweile gerne nutze. „Ich sage dann, damit habe ich nichts zu tun und halte mich raus.“

Dann kommt es durchaus vor, dass sie alleine zum Tanztraining geht – während Martin Korol in seiner Schule „das Mädchen für alles“ macht und Faxe ans deutsche Ministerium oder die Botschaft selber tippt. Zur Tanz-Meisterschaft schaffte er es dann aber doch; trotz deutschem Pass wurde das Paar Korol zugelassen. Nur die Medaille für den ertanzten dritten Platz musste das deutsche Amateurtanzpaar den estnischen Siegern auf Platz vier abtreten. „Aber dass wir mittanzen durften, war doch überhaupt eine Sensation“, sagen sie.

ede

Im Internet unter http://raatuse.rtk.tartu.ee finden neugierig Gewordene weitere Informationen.

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