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Ignatz Bubis ist tot

■  Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden ist gestern nach kurzer schwerer Krankheit gestorben

Berlin (afp/dpa/taz) - Ignatz Bubis, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzender des Europäischen Jüdischen Kongresses, ist gestern im Alter von 72 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Dies gab gewstern der Jüdische Weltkongress in New York und der Zentralrat der Juden bekannt. Nähere Angaben wurden bis zum abend nicht gemacht. Er entstammte einer Beamtenfamilie, sein Vater und zwei seiner Geschwister wurden von den Nazis umgebracht. Er selbst überlebte, zuerst im Ghetto des polnischen Deblin, später in einem Arbeitslager.

Mit der Wahl des Frankfurter Geschäftsmanns Ignatz Bubis zum Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland kam 1992 neuer Wind in das höchste Gremium der deutschen Juden. Anders als sein verstorbener Vorgänger Heinz Galinski sah sich Bubis weniger als unbeugsamen Mahner denn als „deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Er verfocht seine Meinung gegenüber Andersdenkenden offensiv und sprach dabei sogar mit unverbesserlichen Antisemiten. Immer wieder mischte sich Bubis in die öffentliche Diskussion ein. So forderte er, gegen rechtsradikale Gewalttäter hart vorzugehen und den ursprünglichen Asylartikel im Grundgesetz beizubehalten.

Dennoch zeigte sich Bubis in jüngster Zeit zum Ende seiner Amtszeit unzufrieden mit seiner Arbeit. Er habe fast nichts bewirkt, zog er bittere Bilanz. Jüdische und nicht-jüdische Deutsche seien einander fremd geblieben. In der anschließenden Debatte wurden auch Forderungen laut, Bubis solle nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren. Politiker und Zentralrat der Juden nahmen Bubis und den „unglaublichen Kraftakt“ seiner Arbeit dabei in Schutz.

Bubis war von Haus aus kein Intellektueller, sondern Kaufmann. Sein Vermögen erwarb sich der im schlesischen Breslau geborene Beamtensohn (12.01.1927) mit Immobiliengeschäften. Anfang der 70-er Jahre, als die APO-Generation um besetzte Häuser im Frankfurter Westendviertel kämpfte, zog er sich den Ruf eines „skrupellosen Spekulanten“ zu – dass auch die Stadt Frankfurt Bürohochhäuser wollte, wurde dabei übersehen. 1985 verhinderten Bubis und andere Mitglieder der Frankfurter Jüdischen Gemeinde die Uraufführung des Faßbinder-Stücks „Der Müll, die Stadt und der Tod“, in dem die schablonenhafte Figur des „reichen Juden“ vorkam.

Bubis hatte den Holocaust erlebt und überlebt. Anfang 1941 kam er in das Ghetto im polnischen Deblin an der Weichsel, später in ein Arbeitslager. Sein Vater und zwei Geschwister wurden von Deutschen umgebracht. „Dass ich noch lebe, ist ein Zufall“, sagte Bubis einmal. Nach dem Krieg kam er über die Stationen Dresden, Berlin, Pforzheim und Stuttgart nach Frankfurt/Main, wo er bis 1975 einen Schmuck- und Edelmetallhandel betrieb. Seinen Wechsel in die Immobilienbranche beschrieb er so: „Ich habe Architekten beschäftigt und mit Baufirmen gebaut und dabei gelernt.“

Bereits 1969 war Bubis in die FDP eingetreten und rückte in den hessischen Landesvorstand auf. Seit 1983 war er Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, die mit rund 6 000 Mitgliedern zweitgrößte deutsche Gemeinde nach Berlin. Bis Dezember 1992 leitete er sechs Jahre lang den Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks.

Nach Annahme des Ehrenamts als Zentralvorsitzender wurde Bubis in der Öffentlichkeit als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt. Er reagierte zurückhaltend: „Ich glaube nicht, dass die Bundesrepublik Deutschland reif ist für eine solche Entscheidung, nämlich dass ein Jude ... Bundespräsident werden sollte.“

Bubis stand rund 40 000 bekennende deutsche Juden in 75 Gemeinden vor. In seiner Amtszeit fiel auch die Integration tausender jüdischer Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion – eine schwierige Aufgabe. Bubis selbst wurzelte tief in den Traditionen jüdischen Glaubens. Falls seine Tochter einen nichtjüdischen Mann heiratete, würde ihm das „sehr wehtun“, bekannt er einmal.

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