: Die neue Identität Hamburgs
■ Wie die Freie Hansestadt zur „Region der Zukunft“ mutieren will
Die Metropolregion Hamburg traut sich was. Bei ihrer Bewerbung für den Bundeswettbewerb „Regionen der Zukunft“ habe sie „den schwierigen Ausgleich ökologischer Belange in einer Großstadtregion“ offensiv thematisiert, lobte die Jury des Bundesbauministeriums. Soll heißen: Hamburg vertieft die Elbe, geht dabei aber ganz besonders sensibel vor. Hamburg verfüllt Hafenbecken, in denen die Fische Schutz suchen, die sich in der starken Strömung der vertieften Elbe nicht mehr halten können – aber dafür muss der Hafen nicht noch mehr seewärts ausgreifen. Hamburg schüttet das Mühlenberger Loch zu, sucht dafür aber in komplizierten Verhandlungen mit Niedersachsen und Schleswig-Holstein Möglichkeiten des ökologischen Ausgleichs.
Damit hat sich Hamburg unter 85 Bewerbern aus ganz Deutschland für den Wettbewerb „Regionen der Zukunft“ qualifiziert. Im Rennen sind außerdem Stuttgart, München, Frankfurt, Hannover oder Braunschweig – insgesamt 26 Kandidaten. Die Sieger sollen auf dem Weltstädtekongreß „Urban 21“ im Juli 2000 in Berlin vorstellig werden dürfen. „Der Wettbewerb ist Stadtmarketing“, sagt der Hamburger Stadtentwicklungssenator Willfried Maier – kostenlose Werbung, mit freundlichem Gruß von Franz Müntefering. Ende der vergangenen Woche stellte Maier zusammen mit Klaus Gärtner, dem Leiter des schleswig-holsteinischen Staatskanzlei, die ersten Projekte vor, mit denen Hamburg und sein Umland das Rennen zu machen gedenken.
„Ganz besonders stolz“ ist der Senator zum Beispiel auf das Projekt Harburger Binnenhafen: Auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs zwischen Schellerdamm und Hannoverscher Straße entsteht ein Stadtteil, in dem Arbeiten, Erfinden, Forschen, Studieren, Ausgehen und Wohnen nebeneinander möglich sein soll.
Bereits heute versucht hier das Mikroelektronik Anwendungszentrums (MAZ) im Auftrag der Stadt, aus Projekten mit guten Ideen Unternehmen mit marktfähigen Produkten zu machen. Die ausgegründeten Firmen sitzen in modernen Glas-und-Beton-Bauten direkt hinter dem MAZ. Das Arbeitsleben ihrer Mitarbeiter versüßt ein „Event-Restaurant“ in einer alten backsteinernen Fabrik nebenan. Ein hölzerner Hafenkran rundet das Ambiente ab.
Für die große Brache östlich des MAZ will die Projektentwicklungsfirma Nordic spätestens übernächste Woche einen städtebaulichen Wettbewerb ausloben. „In fünf Jahren werden sie hier ein lebendiges urbanes Techonologiequartier sehen“, verspricht Nordic-Geschäftsführer Jochen Wienand. Mehr als 2000 Quadratmeter hat er angeblich bereits an ein Biotechnologie-Unternehmen vermietet. Hinzukommen sollen ein Hotel, 150 Wohnungen und ein Studentenwohnheim in einem ehemaligen Getreidesilo.
Das, worum es bei diesem „Hafencampus“ geht – Flächen-Recycling und die innere Verdichtung der Stadt – soll an der Norderelbe mit der Hafencity wiederholt werden. Wienand, der Entwickler des Projekts „Hafencampus“ muß dabei Acht geben, nicht in Konkurrenz zur Hafencity zu geraten. „Alles was man heute so macht: Medien, White Collar – das hat Senator Maier für die Hafencity reserviert“, sagt der Projektentwickler.
Auch der Hafen als solcher soll nach innen erweitert werden, um den Zeitpunkt zu dem ein zweites oder drittes Altenwerder nötig wird, so lange wie möglich hinauszuzögern. Weil die moderne Containerwirtschaft jedoch mit den schmalen Kais der Vergangenheit nicht mehr auskommt, werden statt weiterer Dorfbewohner die Fische aus den Hafenbecken vertrieben. Ausweichen kann der Senat dem Konflikt nicht. Denn für ihn gilt, was Michael Melzer von der Firma Raum & Energie, die Hamburgs Wettbewerbsteilnahme managt, so formuliert: „Am Hafen hängt die ökonomische Entwicklung und die soziale Identität Hamburgs“.
Wie leicht die im Wettbewerb geforderte nachhaltige Entwicklung, die Balance zwischen ökonomischer, sozialer und ökologischer Entwicklung, kippen kann, zeigt der Ökologische Gewerbepark Tornesch: Doris Harms, die forsche Geschäftsführerin der Pinneberger Wirtschaftsförderungsgesellschaft preist seine Lage an der Autobahn und die Tatsache, daß es kurz hinter der Hamburger Stadtgrenze keine Geschwindigkeitsbegrenzung mehr gibt. Als einer der ersten Betriebe siedelte sich eine Tankstelle an. Harms erzählt gerührt von den Anrufen dankbarer Brummi-Fahrer. Abgesehen davon, daß das Gewerbegebiet außerdem nicht in einer der vorgesehenen landesplanerischen Entwicklungsachsen liegt, ist sonst alles Öko: die Straßen besonders schmal, die Grünstreifen breit, die Wasserkreisläufe nach Verschmutzungsgrad getrennt und das Marketing auf Umwelt-Firmen ausgerichtet.
Vorbild-Charakter für Hamburg hat da schon eher das Konversionsprojekt „Klosterforst“ in Itzehoe. Bis Ende 2000 soll aus der ehemaligen Hanseaten–Kaserne ein glasfaserverkabelter Stadtteil für 2000 Menschen geworden sein. Wer hier wohnt, soll per Kabel von zuhause aus arbeiten können oder einen der 1000 Dauerarbeitsplätze besetzen, die Achim Plate, einer der Initiatoren des Projekts, bis Ende 2001 in seinem Internet-Call-Center geschaffen haben will. Das Viertel ist erst rund zwei Jahre alt und noch nicht fertig. Fertig begrünt mit großen Büschen und Bäumen wirkt es so, als sei es schon lange bewohnt. Hoffnungslos unscheinbar, trotz ihrer Bedeutung, nehmen sich neben diesen Projekten Hamburgs Bachpatenschaften aus: Dutzende von ihnen sind über die gesamte Stadt verteilt. In Lurup zum Beispiel haben Schüler des Goethe-Gymnasiums den Fangdiekgraben wieder zu einer Schleife verholfen. Sie sorgen dafür, dass an seinen Ufern mehr wächst als das penetrante Springkraut und sie sammeln den Müll ein, den andere Zeitgenossen achtlos hier fallen lassen. Ohne solche kleinen Projekte, bei denen sich das Engagement einfacher BürerInnen zeigt, dürfte der Titel „Region der Zukunft“ jedoch kaum zu gewinnen sein. Gernot Knödler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen