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Entscheidung auf der Avus

■ Wettrollen um die Deutsche Einheit: Schäuble gegen Kohl

Berlin (taz) – Wolfgang Schäuble hat Großes vor. „Ich möchte die Einheit erfahren, im wahrsten Sinn des Wortes“, erklärt der unsympathische Schwabe, der schon in der Schule keine Freunde hatte. Mit dem Rollstuhl von Bonn nach Berlin, Ankunft am Tag der ersten Bundestagssitzung im Reichstag im September – Insider sehen die wahren Gründe für Schäubles scheinheilige Tour in den tiefen Kränkungen, die der ewige Zweite hinter Helmut Kohl in den letzten Monaten erfahren musste. Schlimm genug, als Oppositionsführer wegen der rot-grünen Dauerpannen kaum wahrgenommen zu werden. Schäuble ließ sich auch noch mit der Doppelpass-Kampagne von dem „schmierigsten CDU-Landesvorsitzenden, den Deutschland je gesehen hat“ – so Schäuble in seinem Tagebuch –, die Schau stehlen. Der bekennende Numismatiker habe getobt „wie ein Berserker“, als Roland Koch die Wahl in Hessen gewonnen habe, erzählt seine Frau später unter dem Siegel der Verschwiegenheit ihrer besten Freundin.

Auch die Aufarbeitung der Kohl-Ära hatte im letzten Jahr wegen einer peinlichen Panne nicht so recht beginnen wollen. Claudia Schiffer oder Steffi Graf waren Schäubles Wunschkandidatinnen für den Posten des CDU-Generalsekretärs. Nach Hintze sollte endlich ein „Signal des Aufbruchs, der Verjüngung, Verschönerung und Erneuerung“ gesetzt werden. Stattdessen Angela Merkel. Für die Europawahl-Plakate musste die Quotenossi und Anstandsdame per Fotomontage neben Schäuble gesetzt werden, so groß war die gegenseitige Abneigung. So erfährt es zumindest jeder, der es hören will, vom gut gelaunten Volker Rühe bei einem Glas Alkoholfreiem im Bundestagsrestaurant.

Pünktlich zum Beginn der Tour de France dann die größte Demütigung für den Mann, der selbst von seinen Kindern nur gesiezt wird. Um Bürgernähe zu demonstrieren hatte sich Schäuble an einem sonnigen Montagmorgen mit seinem Elektrorollstuhl auf den Weg zur Arbeit im Bundestag gemacht. An einer roten Ampel auf Höhe des Hauses der Deutschen Geschichte hält ein dunkelblauer, fast schwarzer BMW mit Münchner Kennzeichen. Edmund Stoiber kurbelt das Fenster runter und ruft: „He Schäuble, was geht'n deiner so?“ Schäuble überlegt kurz und antwortet ahnungslos: „Ja, äh, Spitzenprodukt aus Stuttgart, fährt so um die, äh, 15 Stundenkilometer.“ Darauf Stoiber lachend: „So wenig – da kannst ja gleich zu Fuß gehen!“ Sagts und drückt aufs Gas. Schäubles Konterversuch von wegen „größter Irrenanstalt“ und „Überdachung Bayerns“ läuft ins Leere. Von Stoiber so vorgeführt zu werden, das war zuviel für den Mann, von dem viele nicht nur in der eigenen Fraktion sagen, auch er habe das Herz am rechten Fleck. Schäuble sei noch nie so deprimiert gewesen, erzählen enge Mitarbeiter später in vertraulichen Hintergrundgesprächen.

Die Kette der Niederlagen scheint jedoch nicht abzureißen für den „Parteivorsitzenden“, der eigentlich lieber ab- als anschiebt und von dem Ulrich Wickert einmal sagte, er habe „den Charme einer Eidechse und die Ausstrahlung einer Pfütze im April – das Wetter“. Helmut Kohl, sein väterlicher Freund, gegen den er manchmal zu Regierungszeiten zum Spaß aufbegehrte, um später nur noch deutlicher den Schwanz einzuziehen, hat von seinem Vorhaben Wind bekommen. Aus gut unterrichteten Kreisen wird kolportiert, dass sich der „dicke Pfälzer“ (Schäuble zu Rühe über Kohl) einen Spezialrollstuhl in Übergröße habe fertigen lassen – bei einem bekannten Tret- und Solarboot-Hersteller im bayrischen Herrsching am Ammersee. Mit dieser Wunderwaffe will das „größte vorstellbare Maskottchen der Einheit“ (Schäuble über seinen Gönner) spätestens auf der Avus bei der Einfahrt nach Berlin alles klarmachen. „Eines darfst du nie vergessen – in die Geschichtsbücher kommt nur einer: ich.“ Wenn man Norbert Blüm glauben kann, waren dies tatsächlich die einzigen Worte, die Ex-Kanzler Kohl für seinen ehemaligen Wasserträger bei der letzten Bundestagssitzung in Bonn übrig hatte. Georg Gruber

Derzeit scheint die Kette der Niederlagen ja nicht abzureißen für den „Parteivorsitzenden“, der lieber ab- als anschiebt

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