piwik no script img

Kein Tiananmen, keine Kulturrevolution?

betr.: „Die Taiwaner werden immer nervöser“, taz vom 6. 8. 99, Leserbrief „Taiwan ist ein Staat“, taz vom 11. 8. 99

Die Chinesen halten ihr Reich „friedlich“ zusammen, lese ich in einem Leserbrief. Tiananmen hat es nie gegeben? Keine Kulturrevolution? Den großen Sprung nach vorne mit Millionen Toten auch nicht? Und davor? So weit zum himmlischen Frieden im vieltausendjährigen Reich.

Die Diktatoren in Taiwan waren auch keine Waisenknaben, aber die Situation der Insel zwang sie zur Flucht in die Demokratie. Die begann etwa 1988. Heute ist Taiwans Demokratie die lebhafteste in Südostasien. Die gelegentlichen Schlägereien im Parlament sind vielen Taiwanern zwar recht peinlich, aber: „In einer imperfekten Welt ... ziehen wir weiterhin eine Gesellschaft vor, in der die Menschen den Politikern zusehen können, wie sie sich die Köpfe einschlagen ... gegenüber solchen Politikern, die sich zusammentun, um die Köpfe ihrer Bürger einzuschlagen. Wir könnten das sogar ,Fortschritt‘ nennen.“ (Far East Economic Review, 1996/07/18, S. 5.)

Was demokratischen Elan anbetrifft, hat das immer noch schöne Inselchen in Südostasien wohl nun auch Japan überrundet. Das ist peinlich. Der demokratische Westen braucht billige Arbeiter. Südostasien hat sie massenhaft. Taiwan stört unser nützliches Bild von den „Asiatischen Werten“, mit dem wir (zusammen mit lokalen Despoten) „den“ Asiaten ein Interesse an Demokratie absprechen.

Aber nicht nur deutsche Unternehmen nutzen global die Freiheiten, die ihnen die vielen regionalen Unfreiheiten bieten, sondern auch taiwanesische Unternehmen (also ein Großteil der Investoren in China) kasernieren leider ihre Angehörigen aus der großen chinesischen Familie in Fabriken auf dem Festland mit zugesperrten Notausgängen. Solche Tragik wird auch in Taiwan gerne „Pragmatismus“ genannt.

Hier spielen Taiwaner mit dem Feuer, sogar im wörtlichen Sinn. Wohlstand steigert Gier und Dummheit. Insofern kann ihnen nichts Besseres passieren, als wieder einmal vom intrafamiliären Terror bedroht zu werden. Das hilft vielleicht, sich der Version „Asiatischer Werte“ zu besinnen, die im Freiraum Taiwans heranwachsen konnten. [...] Götz Kluge, München

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen