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Liebesszenen auf dem Küchenboden

White Cube als Kultur-Oase: Im British Council und im Goethe-Institut von Neu-Delhi wird indische Kunst gezeigt, gegen die konservative und religiöse Mehrheiten an anderen Orten Sturm laufen würden  ■   Von Stefan Römer

In der Presse wurde das Projekt gelobt: Als Kurator hatte Amit Mukhopadhyay etwa hundert KünstlerInnen an sechzehn verschiedene Ausstellungsorte in Neu-Delhi eingeladen und zusätzlich ein Symposion über zeitgenössische indische Kunst organisiert. Mukhopadhyay, der als Mitherausgeber einer Zeitschrift an der Lalit-Kala-Kunstakademie arbeitet, wurde gar als „Mandarin des nächsten Millenniums“ bezeichnet, weil er das Kunstprojekt mit aktuellen und historischen Bezügen zur indischen Gesellschaft entwickelt hatte. Dabei beruft er sich auch auf die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, während er für die Präsentationen den Bezug zur Tradition mit Kategorien wie „Momente der Loslösung“ und „Jenseits der Loslösung“ in den Vordergrund stellte.

Tatsächlich lassen sich Parallelen zwischen dem Indien der 90er Jahre und globalen Prozessen aufzeigen. Selbst die rechtsextremen Konflikte der letzten Jahre könnten mit denen in Deutschland nach 1990 verglichen werden, auch wenn die gesellschaftlichen und kulturellen Differenzen groß sind. Dabei lässt sich mit den ethnischen und religiösen Spannungen sowie den Klassengegensätzen, die durch das traditionelle Kastensystem nach wie vor statisch fixiert sind, die Sonderrolle Indiens im internationalen Vergleich recht schlüssig umreißen.

Die Klischees, die früher nur als Projektionsfläche unverarbeiteter Hippieträume dienten und das exotische Eldorado für Luxusurlauber garnierten oder in modernisierter Form zu Goa-Techno-Parties umfunktioniert erscheinen, werden gegenwärtig vor allem für die sogenannte Globalisierung eingesetzt – Indien als „größter offener Markt der Welt“. Dies ist angesichts boomender Computer-Software-Industrie in einzelnen indischen Städten als verständliches Wunschimage zu deuten, ebenso wie das überall in den Medien verbreitete Bild einer expandierenden Mittelschicht. Diese angesichts der Bevölkerungszahlen jedoch verschwindend kleine Gruppe macht die neue Zielgruppe der Gegenwartskunst aus.

Für diese neue, junge, gutverdienende Klasse gilt es als ultimativer Chic, Wohnungen mit indischer Kunst auszustatten. Dabei geht es nicht um eine einzige homogene Kultur, sondern um einen vielfältigen Umgang mit religiösen oder kulturellen Aneignungsprozessen. In diesem Sinne thematisiert der in Neu-Delhi lebende Fotograf Satish Sharma solche kulturellen Verschiebungen und Perspektivfragen in seiner künstlerischen Praxis. Sharma sammelt seit Mitte der 80er Jahre Fotos von indischen Straßenfotografen. Diese stellt er jedoch nicht als Spurensucher oder Appropriationskünstler unter seinem Namen aus, sondern ordnet sie den eigenen fotografischen Arbeiten als Serien bei.

In seiner Präsentation „Tourism and Identity“ im Max-Mueller-Bhavan (so heißt das Goethe-Institut in Indien) kombinierte er sie mit Schwarzweißfotografien, in denen er Orte motivisch gegenüberstellt, die entweder moslemisch oder hinduistisch definiert sind, aber früher jeweils der anderen Religion zugeordnet wurden: Eine moslemische Moschee wurde beispielsweise auf dem Fundament eines hinduistischen Tempels errichtet. Im fotografischen Sichtbarmachen dieser kulturellen Überlagerungsprozesse relativiert Sharma seine pakistanisch-moslemische Herkunft vor der hinduistischen Dominanz seines Wohnortes Neu-Delhi. Obwohl er seine Perspektive implizit moslemisch konstruiert, betrachtet er die pakistanischen Orte, aus denen seine Familie stammt, als Tourist.

Die Künstlerin Shukla Sawant nimmt dagegen in ihrer Installation im British Council einen ganz anderen bildnerischen Kulturvergleich vor. Die aus Standardliteratur stammenden Abbildungen von phallisch aufgerichteten Monumenten aus unterschiedlichen Kulturen werden durch den fortlaufend aufgedruckten Soldatenscherz „This is my rifle, this is my gun. This is for fighting, this is for fun“ (aus Stanley Kubriks „Full Metal Jacket“) zur Wiederholung weit verbreiteter männlicher Herrschaftsmuster. Die formale Anordnung auf kleinen, mit Sand überstreuten Kästen erinnert an Gräberreihen. Als Anspielung auf die Währung, mit der diese Monumente der Herrschaft bezahlt wurden – dem Tod unzähliger Arbeiter und Soldaten –, verbinden sich in Sawants Installation feministische und Herrschaftskritik.

Sawants Bildreproduktionen widersprechen ebenso wie Sharmas Fotografien einem Originalbegriff des künstlerischen Bildes, da alle Elemente technisch angeeignet, nicht aber originär erzeugt wurden. Der Künstler Subba Gosh wiederum untersucht in zwei hüfthohen Drahtverhauen die Phänomenologie von internalisierten Räumen: einerseits die von Privatheit gezeichneten eigenen vier Wände – Gesichtsabdrücke von Schlafenden auf einem Kopfkissen oder spärlich beleuchteten Schalen –, andererseits eine eher öffentliche Situation, die existenzielle Betätigungen suggeriert – ein Stuhl, Fotografien von Händen als Symbole der Produktion.

Wie wichtig dabei ausländische kulturelle Vertretungen für die Kunst in Indien sein können, zeigt sich an der fotografischen Serie von Abul kalam Azad. Die vier für den europäischen Blick eher unproblematischen Fotografien eines Frauenaktes, eines sich suhlenden Schweins, eines Rinds und einer heterosexuellen Liebesszene auf einem Küchenboden ließen beim einheimischen Publikum einigen Protest erwarten. Schon die Nacktdarstellungen allein gelten in Indien als anstößig, ganz abgesehen von der visuellen Konfrontation des von Hindus verehrten Rinds mit einem (auch von Muslimen) als unrein verabscheuten Schwein.

Dass diese für alle großen Glaubensgemeinschaften in Indien provokante Fotoserie im Max-Mueller-Bhavan gezeigt werden konnte, ist eine Möglichkeit, über Religionsunterschiede und das Kastensystem hinweg eine Präsentation zu ermöglichen – auch wenn sie recht klassisch im White Cube stattfindet. Ohnehin verfügen die meisten Galerien in Neu-Delhi nicht über einen eigenen Raum, sondern mieten zeitweise Räume in Kunstakademien oder Kulturinstitutionen an. Ein übergreifendes Ausstellungsprojekt wie „Edge of the Century“, das sich um eine theoretisch fundierte Bestandsaufnahme zeitgenössischer Kunst bemüht und diese auch noch in einen gesellschaftstheoretischen Kontext stellt, markiert dabei eine Ausnahme, die in ihrer nationalen Ausrichtung keinesfalls mit westlichen Großausstellungen verglichen werden sollte. Eher schon zeigt sich hier im Zuge der Diskussionen über „postkoloniale“ Kultur die Notwendigkeit, auf lokalen Eigenarten auch gegen jeweils vor Ort herrschende Moralvorstellungen bestehen zu können, ohne globale Bezüge ignorieren zu müssen.

Auch im Westen bekannte zeitgenössische indische KünstlerInnen wie Rummana Hussain, Vivan Sundaram und Arpana Caur waren bei „Edge of the Century“ vertreten. Die allgemeine Unterrepräsentation indischer Kunst im internationalen Kontext ist dagegen einer mangelnden Kenntnis der verschiedenen indischen Schulen geschuldet. Das Defizit liegt aber auch darin, dass die indische Kunstszene unübersichtlich erscheint und vor allem über zu wenige Galerien verfügt. Andererseits wurde auf dem Wochenendsymposion deutlich, dass die Künstlerinnen und Künstler vor Ort bestens ausgebildet sind. An Theorie mangelt es der indischen Kunstszene trotz ihrer international marginalen Rolle nicht. Amit Mukhopadhyay/M. Ramachandran: „Edge of the Century“. 140 S., ca. 10 DM (plus Versandgebühren), zu beziehen bei Ashish Anand, Delhi Art Gallery, 11 Hauz Khas Village, New Delhi – 110016, Indien.

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