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Samma in sä Sitti ■ Von Susanne Fischer
Wenn ich auf dem Hamburger Hauptbahnhof ankomme, sehe ich in den ersten fünf Minuten mehr Menschen als auf meinem Dorf in vier Wochen. Das gefällt mir gut. Vor allem aber sehe ich andere Menschen. Zum Beispiel begegnen mir in meinem Dorf nur Menschen mit weißer Haut, außer sie haben sich nicht gewaschen. In Hamburg gibt es Menschen in allen Farben, was meine weißhäutigen Nachbarn übrigens beängstigend finden. Da kann ja jeder kommen und einfach anders aussehen, wo kommen wir denn da hin. Das Äußerste an Buntheit, was mein Dorf zu bieten hat, sind zwei Punker. Der eine hat grüne Haare, und der andere besitzt schwarze Schnürstiefel, die er mit Malerfarbe weiß angemalt hat. Zusammen heißen sie Angst und Bange. In Hamburg dagegen sieht jeder Punker so aus, als ob er auch allein Angst und Bange heißen könnte.
Munter mache ich mich auf in ein Stadtviertel, in dem ich urbanes Leben vermute. Urbanes Leben bedeutet, dass im Sommer Fernsehschaffende auf der Straße stehen und dazu Milchkaffee trinken, während ich keinen bestellen darf, weil ich nicht weiß, wie er auf Portugiesisch heißt. Ich kann nur Mölchkaffä sagen. Es ist aber auch schön, den Kulturträgern beim Mölchkaffä-Trinken zuzusehen. Als Provinzler sollte man in den Metropolen immer hübsch bescheiden bleiben. Man sollte sich auch nicht aufregen, wenn Arschnasen ihre dicken Autos direkt auf dem Bürgersteig abstellen. Auf meinem Dorf haben wir ja noch nicht einmal einen Bürgersteig.
Autos gibt es aber, glaube ich, schon. Doch, ich bin sicher. Es sind die Dinger, die so ähnlich aussehen wie Traktoren, bloß nicht so laut. Auch Handys kennen wir bereits. Für irgendwas müssen wir unser Geld ja ausgeben. Da wir aber keine Bürgersteige haben, können wir auch nicht cool darauf herumstehen, jedenfalls da, wo kein dickes Auto parkt, Mölchkaffä trinken und dazu telefonieren. Wir telefonieren lieber auf dem Traktor, aber nicht während der Fahrt, damit kein Unglück passiert. Auch gibt es auf meinem Dorf kein Straßencafé, in dem man bequem bei einer Schale Mölchkaffä herumlümmeln und den Leuten beim Ein- und Ausparken auf dem Bürgersteig zusehen kann. Es sind vornehmlich junge Männer in schwarzen T- Shirts, Gel im Haar, Sonnenbrille hochgeschoben, Muskelspiel, Handy am Gürtel, magersüchtiges Mädchen auf dem Beifahrersitz. Die kommen bestimmt vom Dorf, sonst müssten sie ja nicht mit dem Auto zu ihrem Lieblingsbürgersteig fahren. In meinem Dorf gibt es einen Schnellimbiss, der sich Grillrestaurant nennt. Vielleicht gibt es bei denen auch so was, weswegen sie schnelle Wagen zur Flucht benutzen müssen, die ihnen dann in der Stadt wie ein Klotz am Bein hängen. Auf dem schmalen Bürgersteigstreifen, den die herumstehenden Autos und Fernsehschaffenden übrig lassen, wartet jede Menge Hundescheiße auf einen dösigen Schritt. Die Hundescheiße ist der Kuhfladen des Städters.
Das Grillrestaurant in meinem Dorf heißt „Zum Schrotti“. Das ist nicht gelogen. Wir sind so.Wenn man ein Handy hat, kann man schon vom Hamburger Bürgersteig aus beim Schrotti einen Schaschlikspieß Spezial bestellen. Ich weiß nicht, was das „Spezial“ bedeutet. Ich habe mich noch nicht zu fragen getraut.
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