„Wir geben Obasanjo eine Gnadenfrist“

■  Interview mit Udenta o Udenta, Generalsekretär der Oppositionspartei „Alliance for Democracy“ (AD) in Nigeria, über den Weg zu einer Demokratisierung des Landes nach 15 Jahren Militärdiktatur und die Gefahren einer Politik auf ethnischer Basis

taz: In Nigeria greifen ethnische Unruhen um sich, und Präsident Obasanjo setzt immer öfter das Militär dagegen ein. Ist Nigerias Stabilität in Gefahr?

Udenta: Ethnische Gewalt hat es immer gegeben. Das Militär hielt sie früher mit Repression unter Kontrolle. Aber das Militär ist ja schließlich dazu da, die Ordnung zu wahren. Neu sind jetzt die Auseinandersetzungen zwischen Yorubas und Haussas. Präsident Obasanjo sagt, sie wurden von Feinden der Demokratie aufgestachelt, um das Militär zurückzuholen. Es gibt Leute, die die Lage ausnutzen, um Unruhe zu schüren.

Wer sind diese Leute?

Viele ehemalige Generäle sind unzufrieden: Ihre Aktivitäten werden untersucht, im Ausland wird nach gestohlenem Geld gefahndet. Aber sie werden nichts ausrichten. Ein Putsch in Nigeria heute würde das Ende Nigerias als Staat bedeuten. Außerdem sind jetzt viele ausländische Organisationen in Nigeria aktiv, und die Zivilgesellschaft ist stärker geworden; ein Militärputsch wäre viel riskanter als früher. Warum also haben wir Angst vor einem Putsch?

Das klingt ja fast, als rechnen Sie mit einem Putschversuch. Ist Obasanjo so schwach?

Es ist noch zu früh, ihn negativ zu beurteilen. Obasanjo tut, was er tun muss: Er spielt Feuerwehr. Wir haben in Nigeria keine demokratische Regierung, sondern lediglich ein ziviles Regime. Das ist aber immer noch besser als eine Militärdiktatur. Obasanjo folgt einer populistischen Agenda: Er pensioniert hohe Militärs, überprüft Ölförderlizenzen, legt Gesetze gegen Korruption vor. Aber ein kohärentes, durchdachtes Aktionsprogramm, um das Land aus seinem Verfall zu holen, steht noch aus. Wir hoffen, dass er in den nächsten Monaten zur Ruhe kommt und ein klares Programm vorlegt.

Versteht sich Ihre Partei als Unterstützer oder als Gegner der Regierung?

Die AD ist Nigerias Oppositionspartei. Wir sind nicht mit Obasanjo zusammen an der Macht oder mit ihm verbündet, sondern in der Opposition. Aber es ist wichtig, dass alle Kräfte sich um die zivile Regierung scharen. Es ist die erste seit 15 Jahren. Also müssen wir kleinliches Gezänk vermeiden.

Was wäre der Punkt, der Sie zum Bruch mit Obasanjo bewegen würde?

Er ist noch dabei, Personalentscheidungen zu treffen. Nach der Ebene der Regierungen sind noch Botschaftsposten, Universitätskanzleien, Leitungen der Staatsbetriebe neu zu besetzen. Bis Dezember wird er damit fertig sein. Bis dahin geben wir ihm eine Gnadenfrist. Aber in dem Augenblick, wo er wesentliche Werte aufgibt, wird er unsere Unterstützung verlieren. Es geht um Arbeiterrechte, Armutsbekämpfung, Umweltsanierung, Wiederaufbau, liberale Wirtschaftspolitik, Privatisierung ohne Konzentration der Wirtschaftsmacht in wenigen Händen. Er muss unsere Jungs aus Sierra Leone heimholen, wie er versprochen hat – wir geben dort täglich zwei Millionen Dollar für unsere Truppen aus, das wäre genug, um Nigeria auf die Füße zu stellen! Sollte Obasanjo diese Dinge nicht tun, wird er unsere Sympathie verlieren.

Und was würden Sie dann machen? Opposition im Parlament?

Nein. Wir erwarten nicht, dass die Opposition aus dem Parlament kommt. Die Parlamentarier müssen sich erst mal einrichten und wohlfühlen. Erst dann werden sie ihre Stimme erheben. Wir werden ein Schattenkabinett aus erfahrenen Leuten bilden und zu den Gesetzentwürfen der Regierung Gegenentwürfe vorlegen. Die werden wir sammeln. Das wird unser Vertrag mit dem nigerianischen Volk für die nächsten Wahlen.

Ihre Partei ist vor allem unter den Yorubas im Südwesten Nigerias stark. Fast alle Ihre Abgeordneten kommen aus dem Südwesten, und die Yoruba-Kulturvereinigung Afenifere war einer der Gründer der Partei. Ist die AD der politische Arm von Afenifere?

Nein. Afenifere ist eine Säule von AD, aber nicht das Haus selbst. Die Säule ist nicht das Haus, aber das Haus kann ohne seine Säulen nicht existieren.

Aber ist AD nicht doch die Partei der Yorubas?

Obasanjo ist auch ein Yoruba, und wir haben ihn nicht hervorgebracht. Das war die Regierungspartei PDP. Wir haben lediglich beim Ausklang der Militärdiktatur darauf bestanden, dass der nächste Präsident aus dem Südwesten sein muss, damit die annullierte Wahl von Moshood Abiola 1993, die einen Machttransfer aus dem Norden in den Südwesten einleiten sollte, nicht vergebens war. Aber wir haben Obasanjo nicht installiert. Es war das Establishment des Nordens. Eine zweite Amtszeit wird es für Obasanjo nicht geben. Die Macht wird an den Norden oder den Südosten gehen.

Warum ist von den Ibos im Südosten, zu denen Sie auch gehören, so wenig zu hören?

Es gibt eine Führungskrise bei den Ibos. Die Ibos dachten, Obasanjos Partei PDP könnte ihre Partei sein, und gaben sich der PDP hin, ohne etwas dafür zu erhalten. Das hat zur Entmachtung der Ibo-Elite beigetragen. Außerdem hat der Biafra-Krieg (1967–70) der Psyche unseres Volkes geschadet. Keine Generation kann zweimal Krieg führen und verlieren. Die nächste Generation wird für die Sache der Ibos kämpfen und gewinnen.

Könnte es sein, dass die Nigerianer sich vom Parlamentarismus abwenden und lieber Politik auf ethnischer Basis betreiben?

Um die Frage der Demokratie in Nigeria zu lösen, muss man die nationale Frage lösen. Nigeria ist eine Ansammlung von Nationen, die von den Briten in einen Topf geworfen wurden. Es ist nicht selber eine Nation. Um eine Nation zu schaffen, brauchen wir eine föderale Verfassung. Yorubas werden Yorubas bleiben, Ibos werden Ibos bleiben, und Haussas werden Haussas bleiben – es ist Zeit, diese Vielfalt anzuerkennen und dann ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln.

Interview: Dominic Johnson