piwik no script img

Insekten kriegt jeder Blödmann

Rüdiger Nehberg hat gelernt, ohne die Zivilisation auszukommen. Für die Landrechte der Indianer läßt er sich jetzt zum dritten Mal über den Atlantik treiben  ■ Von Gernot Knödler

Zwanzig Meter über der Alster schwebt ein Einbaum der besonderen Art: Eine weiße Friedenstaube mit Ölzweig am Bug, hinten ein langes Aluruder, in der Mitte eine knallgelbe Kabine mit Bullaugen. Unten, am Kriegerdenkmal bei der Rathausschleuse steht Rüdiger Nehberg, Konditor aus Wandsbek, heute Überlebenskünstler, und freut sich über den Medienandrang, den sein neuestes Projekt verursacht hat: Um auf den Landraub an den Eingeborenenvölkern der Welt aufmerksam zu machen, wird er auf dem Baumstamm über den Atlantik schippern.

Am 22. April 1500 ist Brasilien von den Portugiesen entdeckt worden. Hunderttausende Ureinwohner wurden in den folgenden Jahren ermordet, von Krankheiten dahingerafft, gejagt, versklavt und zwangsmissioniert. „Ich hörte von den gewaltigen, pompösen Feiern, die dort zum 500jährigen Jubiläum stattfinden sollen“, sagt der Mann im orangenen Overall.

Das wurmte den 64jährigen und es fiel ihm nichts besseres ein, als ein drittes Mal den Atlantik herauszufordern. Per Tretboot und Bambusfloß hat er ihn bereits bezwungen. Man sieht es ihm an: braungebrannt ledrig die Haut, knochig die Hände, von Arbeit und Abenteuer verformte Fingernägel.

Weil es bei dieser Reise auch um den Regenwald geht, der in Brasilien nach wie vor rücksichtslos vernichtet wird, verfiel Rüdiger Nehber auf die Idee mit dem Baumstamm. „Ich hab mir bei Max Bahr einen Pfahl gekauft, ihn ins Wasser geworfen und siehe da: er schwamm“, sagt Nehberg. Wegen der nötigen Verdrängung besorgte er sich eine 350 Jahre alte Tanne aus den Schweizer Bergen, die ohnehin abzustürzen drohte.

Im Hamburger Yachthafen in Wedel befestigte er zwei Bündel ausgeschäumter Bambusrohre als Ausleger an dem Stamm und sägte große Kammern in das Oberteil. Eine enthält 300 Liter Wasser fürs Überleben, die übrigen ebenfalls Plastikschaum. Das drückt den Schwerpunkt in den Kiel und gibt zusätzlichen Auftrieb. „Ich bin unsinkbar“, sagt Nehberg, „egal wie lang ich auf dem Ozean bin“.

Das wird Monate dauern, weil sich Nehberg und sein 28jähriger Partner Lars Spanger von der Strömung und günstigen Passatwinden vom Senegal nach Brasilien treiben lassen wollen. „Man muss sehen, dass man sinnvolle Arbeit verrichtet“, sagt der Überlebenskünstler, „dann kommt kein Streit auf“. Also werden die beiden Seefahrer in aller Gründlichkeit ihr Fahrzeug warten, navigieren und ausgedehnt speisen: frischen Fisch mit Soße aus der Tüte, Kartoffelpuffer aus dem Supermarkt und Müsli. „Man nimmt sich viel Zeit“, sagt Nehberg. Zur Unterhaltung wird er einige Brockhaus-Bände und die neue deutsche Rechtschreibung in verschiedenen Varianten studieren.

Nehbergs größte Sorge gilt dem Trinkwasser. Neben der Reserve in der Tanne hat er ein weiteres Dutzend großer Kanister an die Kajüte gebunden. Mit einer Regenrinne glaubt er bei einem tropischen Guß 40 Liter in der Stunde auffangen zu können. Und dann hat er sich noch eine Wasserentsalzungsanlage ausgedacht: Eine Plexiglaskugel mit einer schwarzen Schale darin, aus der Meerwasser verdunsten und an der Kugelwand kondensieren soll. „Schon ab 25 bis 30 Grad ist der Bär da drin los“, sagt Nehberg begeistert, greift sich meinen Reservestift und skizziert die Konstruktion.

Rüdiger Nehberg ist ein Bastler, ein Autodidakt und ein Querkopf. Fast alles am Baumstamm hat er sich selbst ausgedacht und bis auf den letzten Drücker dran gearbeitet. Der Stress, die ganzen Teile von der Kabine übers Beiboot zum Segel anfertigen und nach Möglichkeit sponsern zu lassen, hindert ihn zwar in den Tagen vor der Abreise am Schlafen, dafür bereitet er ihn mental auf die Reise vor. „Dieses ständige Nachdenken ersetzt das autogene Traninig“, sagt Nehberg. Mit dieser Methode seelischen Trainings war in den 50er Jahren die erste Atlantik-Überquerung mit einem Faltboot gelungen.

Was Nehberg nervt, sind Leute, die ihm reinreden: „Ich hoffe, Sie kennen die Kraft der See ...“ sagt er düster – „Ja, ja, die kenn' ich.“ Nur eine Jungfrau dürfe seinen Nachen taufen, mit dem Meer müsse er sich gut stellen, rieten ihm die selbsternannten Seebären. „Ich hab' immer das Gegenteil gemacht“, sagt Nehberg trotzig: auf Poseidon geflucht und ihm ins Gesicht gekotzt.

Ganz besonders, als es ihm bei seiner ersten Atlantiküberquerung im Tretboot so dreckig ging. Von den fünf Kilogramm englischen Weingummis, die er sich zur Belohnung nach vollbrachtem Tagewerk mitgenommen hatten, aß er kein Früchtchen, so seekrank war er. Dazu kam die Angst vor dem wilden Wasser und eine nie erlebte Einsamkeit. „Da sitzt man in der Hütte und heult vor Wut über die eigene Unzulänglichkeit“, erzählt Nehberg. Jedes Wort spricht er deutlich akzentuiert.

Nicht dass er sich auf seine Expeditionen nicht vorbereiten würde: Seit er in den 60er Jahren zum ersten Mal auf amerikanische Literatur zum Thema „Überleben“ stieß, hat er bei jeder seiner teils haarsträubenden Reisen dazugelernt oder zumindest Defizite erkannt. Von den Kampfschwimmern der Bundeswehr liess er sich die Angst vor dem Wasser abtrainieren. Er lernte Navigieren, Funken, wie man sich bei Folter verhält – seiner größten Angst – und wie bei Überfällen.

Nehberg geht in die Knie, beugt den Oberkörper übern Tisch und zieht. Wie im Western verkürzt der gebeugte Rumpf den Weg zum Colt: Im Zweifel schießt Nehberg schneller und „auf fünf Meter maximal“ trifft er auch. „Nachdem sie meinen Freund am blauen Nil ermordet hatten, hab ich mir das beibringen lassen“, erzählt er.

Auf den 1000 Kilometern von Hamburg nach Oberstorf, wo er nur von dem lebte, was ihm die Natur zu geben bereit war, nahm er jeden Tag ein halbes Kilo ab – aber nicht etwa, weil er nicht gewußt hätte, wo er Nahrung finden konnte, sonder weil er „viel zuviel Zeit gebraucht hätte“ für die Gewalttour, wenn er hätte satt werden wollen. „Ich weiß wie ich Pflanzen und Tiere auf Genießbarkeit teste“, sagt Nehberg, „und Insekten kriegt jeder Blödmann.“

Der Test geht so: „Erstmal muss mir die Pflanze oder das Tier sympathisch sein“, sagt der Survival-Guru. Dann riecht er daran, kostet und isst schließlich ganz wenig, um den unbekannten Stoff auf sich wirken zu lassen. Der Rest ist eine Sache des gesunden Menschenverstandes: „Alles, was jeder Idiot fangen kann“, sagt er, „damit stimmt was nicht.“ Bei vielen Insekten, etwa Nachtfaltern ist Vorsicht geboten, und Schleimiges kommt ihm nicht auf den Speisezettel.

Dazu kommt das Können zu entbehren, etwa auf dem Marsch durch Deutschland. „Nach drei Tagen hatte ich keinen Hunger mehr, und das war das obergeilste Gefühl“, sagt Nehberg und grinst. Um den Yanomami-Indianern im brasilianischen Regenwald keinen Grund zu geben, ihn anzugreifen, marschierte er 1981 nur mit einem Überlebensgürtel bekleidet und auf einer Mundharmonika blasend in den Dschungel. „Plötzlich, nach 14 Tagen, standen da drei Indianer, von der Musik begeistert, und nahmen mich auf.“

Der Respekt der Yanomami vor der Natur und ihre Bescheidenheit imponierten dem Abenteurer, der es selbst genießt, von den Segnungen der Zivilisation unabhängig zu sein. Seine Survival-Techniken verschaffen ihm dabei „die totale Freiheit“: er ist sich selbst genug, ganz gleich was passiert, wie ein Reh oder ein Fuchs – wenigstens bei seinen Abenteuern.

Deshalb wird er auch weitermachen, wenn er seinen Baumstamm als politische Botschaft der Gesellschaft für bedrohte Völker vor dem Präsidenten-Palast in Brasilia aufgestellt hat: „Mein Traum ist ja, daß ich mich mit dem Hubschrauber irgendwo im Urwald absetzen lasse und ich weiß überhaupt nicht, wo ich bin.Ich garantiere: In vier Wochen bin ich 'raus.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen