piwik no script img

„Rote Bande, ihr seid tot!“

■ Der Wendehals-Oppositionelle Vuk Draskovic erlebte eine unerwartete Blamage vor den Demonstranten in Belgrad

Zunächst wollte er gar nicht erscheinen, sagte seine Teilnahme ab. Die erste große Demonstration von Regimegegnern in Belgrad nach dem Krieg am Donnerstagabend sollte ohne den Vorsitzenden der Serbischen Erneuerungspartei SPO stattfinden. Doch seine mit Parteifahnen bewaffneten Anhänger besetzten den zentralen Platz vor der Tribüne und schrien so lange „Wir wollen Vuk! Wir wollen Vuk!“, bis Vuk doch noch auftauchte, sich dem „Willen des Volkes beugte“ – und schließlich eine einzigartige Blamage erlebte.

Versöhnlich wollte Draškovic klingen, als er vor geschätzten 150.000 Miloševic-Gegnern und -Gegnerinnen von einem Kompromiss über vorzeitige Wahlen sprach. Doch das Publikum reagierte mit einem gellenden Pfeifkonzert und „Verräter!“-Rufen. Es war das größte Fiasko, das Draškovic in Belgrad bisher erlebt hatte.

Die Massenkundgebung in Belgrad hat einserseits alle Schwächen der zerstrittenen serbischen Opposition bestätigt, andererseits aber auch die verborgene Kraft der unzufriedenen Bürger enthüllt. Frenetisch forderten die Menschenmassen vor dem Bundesparlament in der jugoslawischen Hauptstadt den Rücktritt des Präsidenten, Slobodan Miloševic. Eine Menschenmasse, die eine bedrohliche Energie ausstrahlte. Die Stimmung war zunächst friedlich, glich eher einem Volksfest als einer Demonstration gegen das Regime. Bis plötzlich in der Menge eine Tränengasbombe hochging. Der beißende Gestank trieb die Menschen in die Flucht. Und aus heiterem Himmel konnte man die ganze unterdrückte Wucht der Unzufriedenheit der empörten, unwürdig lebenden Menschen spüren. Eine in Belgrad unbekannte Gewaltbereitschaft verbreitete sich in wenigen Sekunden. „Ihr Arschlöcher!“, schrie die Masse gegen das Regime gerichtet. „Wir bringen euch um!“, „Rote Bande, ihr seid tot!“ Hätte jemand in diesem Augenblick dazu aufgerufen das Bundesparlament zu stürmen, sie hätte es wahrscheinlich getan.

„Miloševic hat so viele Menschen betrogen und in den Tod geschickt. Jetzt will er die ganze Nation mit sich ins Grab ziehen! Es ist aus mit ihm! Und sollte es irgendjemand in Serbien wagen, mit Miloševic zu sprechen, wird ihn das Volk aburteilen, ihr werdet ihn aburteilen!“, verkündete erregt Mladen Dinkic, der junge Koordinator der G-17, und meinte wohl Draškovic, der sich schon als Miloševic' Vizepremier versucht hatte. Dinkic setzt sich für eine Übergangsregierung ein, die das Regime abwechseln sollte.

Doch der Star dieser Nacht war Zoran Djindjic. Es war seine politische Auferstehung. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei gab sich so kämpferisch wie nie zuvor und kündigte im großen Stil einen unerbittlichen Kampf gegen das Regime an. Ein Volkstribun, energisch, gut aussehend, im schwarzen Hemd.

„Miloševic muss weg, damit Serbien wieder frei wird! Wir geben dem Regime eine Frist von 15 Tagen um zurückzutreten und danach wird ganz Serbien auf die Straße gehen. Es gibt keinen anderen Weg, es geht um das Überleben einer ganzen Nation! Diesmal werden wir bis zu Ende gehen!“, schrie Djindjic heiser und wurde von den Demonstranten begeistert gefeiert. Sein Auftreten war charismatisch, seine Ziele präsentierte er unmissverständlich. Djindjic erklärte sich bereit, das Volk im kompromisslosen Kampf gegen das Regime anzuführen, und in Belgrad konnte man an diesem Abend den Eindruck nicht loswerden, dass die frustrierten Menschen bereit wären, ihm zu folgen.

Draškovic' SPO soll nach einigen Meinungsumfragen momentan die stärkste Partei in Serbien sein. So erhofft sich der Wendehals, der auch kurzzeitig im Miloševic' Regierung saß, bei vorzeitigen Wahlen so gut abzuschneiden, dass er dem Rest der Opposition die Bedingungen für eventuelle Koalitionen stellen könnte, um legal das Regime zu entmachten. Während also Draškovic glaubt, dass es zu einem friedlichen Wandel kommen könnte, ist Djindjic überzeugt, dass Miloševic und sein Regime niemals freiwillig die Macht aufgeben würden.

Andrej Ivanji, Belgrad

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen