: Das Rennen der Rosas
Der Tanz und seine unbeschwertesten und temperamentvollsten Seiten: Emio Greco, Rui Horta und die zwölf Rosas der flämischen Choreografin Anne Teresa De Keersmaker beim „Tanz im August“ ■ Von Katrin Bettina Müller
Brigitte, die vor 20 Jahren von Berlin nach Braunschweig zog, hat einen heißen Draht zum Berliner Kartenservice. Dann düst sie zu Katharina Thalbach und Meret Becker und seit zwei Jahren auch zum „Tanz im August“. „Nichts gegen Braunschweig“, sagt sie, „aber so was Schönes an Tanz fehlt einfach.“ Was sie so packt, lässt sich zu Hause kaum erzählen. So wandert sie mit ihrer Begeisterung durch die Foyers und strahlt.
Die Rechnung ist aufgegangen. Seit „Tanz im August“ auch große Compagnien mit bekannten Namen einladen kann, mischt sich das Publikum. Der harte Kern der Tanzszene kann seinen Minderheitenstatus vergessen. Der Tanz zeigt sich diesmal von seiner temperamentsvollsten Seite. Selbst der italienische Performer Emio Greco, der bisher in zwei spröden Solos nach dem Ursprung von Bewegung forschte und dabei in ein Stadium des Seins noch vor der Formung einer sozialen Identität zurückkehrte, hat sich für „Extra Dry“ einen Partner gesucht.
Die Kostüme klebten Greco und Andy Deneys auf den bald verschwitzten Körpern wie die Haut einer geplatzten Fruchtblase. Mit animalischen und extrem outrierten Bewegungen machten sie sich auf in den Raum der mit Goldstoff abgehängten Bühne, immer wieder den Kopf zum Licht gewandt wie zwei noch nicht ganz flügge gewordene Vögel. Doch die Welt, in der sie nach Orientierung suchten, schien von der des Publikums wie durch eine unsichtbare Wand getrennt. Die Angst vor dem Unbekannten hielt ihren Daumen auf diese beiden Gestalten.
Keine Angst vor Chaos und Entropie zeigte dagegen die flämische Choreografin Anne Teresa De Keersmaker mit ihren zwölf Rosas aus Brüssel, die im Hebbel-Theater zu Steve Reichs „Drumming“ über die Bühne fegten. Sie hüpften, sprangen, rannten, ausschwärmten und einander in Spiralen umkreisten, dass man manchmal mindestens zwei Fußballmanschaften auf der Bühne wähnte. Mit bewunderswerter Logistik hat De Keersmaker Gruppen von zwei, drei, vier oder sechs Tänzern miteinander verflochten, ohne dass jemand verloren geht.
Nichts, was irgendwo im Raum geschah, blieb ohne Einfluss auf die anderen. Dass dabei die Bewegung ebenso wie Reichs Musik aus einer Phrase entwickelt wurde, erschien nie als Reduktion, so vielfältig waren die Interpretationen.
Quirlig und mühelos zeigten die Tänzer dabei stets eine beneidenswerte Aufmerksamkeit füreinander, von der sich selbst das Publikum berührt fühlte. Solch eine körperliche Sensibilität, die selbst im großen Gedränge noch jedem dem Platz des Ausagierens lässt, wünscht man sich im Alltag oft. Tempo wird nie zur Hetze, das Aufnehmen unterschiedlicher Impulse nie zum Druck.
Die Rosas zeigten ebenso wie La La La Human Steps, dass sich die tänzerische Leistungsfähigkeit in Kondition und Komplexität der Bewegung enorm weiterentwickelt hat, gefördert durch eine immer tiefer in den Körper eindringende Erforschung der Bewegungsimpulse. De Keersmaker nutzt dies Kapital für eine im besten Sinne demokratische Struktur und ein hoch differenziertes System, das viele unterschiedliche Inputs an Energie aushalten kann.
In Rui Hortas Choreografie „Zeitraum“ dagegen, aufgeführt in der Akademie der Künste, mündet die athletische Bewegungsfähigkeit in Konkurrenzen und Gerangel um Positionen. Fast immer als Zweikampf erscheinen die Duos der übereinander rollenden und springenden Körper, die sich abstoßen und fallen lassen, wegdrängen und umarmen. Der Bodycheck wird aufgelöst in ein vielseitiges Spiel von Nähesuchen und Nicht-ertragen-Können. Über die schönsten Bilder legt sich ein Hauch düsterer Bedeutung.
Als ob er der Dynamik des Tanzes allein nicht trauen würde, streut Horta Bildmetaphern und Fragmente dramatischen Spiels ein, die „Zeitraum“ zum düsteren Rätsel machen. Er verziert die Tänze mit einem beziehungsreichen Geflecht der Blicke, das jedem eine Rolle zuteilt. Aber dieses Spiel führt nirgendwo hin. Zudem sorgt die Musik von Yens & Yens für eine angespannte Stimmung der Erwartung, die kaum eingelöst wird.
Vor wenigen Jahren gehörte der aus Portugal stammende Horta zu den Choreografen, die eine neue Intensität der Bewegung miterarbeitet haben. Seit kurzem als „choreographer in residence“ an der Muffathalle in München, konnte er „Zeitraum“ mit den Mitteln des Deutschen Produzentenpreises für Choreographie produzieren, den er 1997 erhielt.
Die Aufführung begleitete die diesjährige Verleihung des mit 225.000 Mark höchsten Tanzpreises in Deutschland an Jo Fabian. Ausgezeichnet wurde damit ein Regisseur, der Tanz und Choreografie als Mittel der Demontage des Theaters wieder entdeckt hat.
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