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Gesucht: Das echte, alte Feeling Bieberer Berg

■ Nicht nur der neuen Anzeigetafel fehlt Energie beim 1:3 von Offenbach gegen Nürnberg

Offenbach (taz) – „Eine neue Liga ist wie ein neues Leben“, spruchbänderten die Fans der Offenbacher Kickers zum Heimauftakt des Aufsteigers gegen den Bundesligaabsteiger 1. FC Nürnberg. Und in der Tat: Es hat sich einiges am Bieberer Berg verändert. Dort wo bislang regelmäßig manuell hölzerne Nummern unter die aufgedruckten Worte „OFC“ und „Gast“ hochgehievt wurden, steht jetzt eine Anzeigetafel, die diesen Titel fast verdient. Für gutes Geld hat man sich die ausgemusterte Leinwand von Werder Bremen geleistet, stolz thront sie über der Westkurve – bereits mit Apfelwein-Werbebanner, jedoch noch ohne Strom.

Mit Leibeskräften hatte die oft beschworene „Kickers-Familie“ bis unmittelbar vor dem Anpfiff daran gearbeitet, die „Bruchbude Bieberer Berg“ herzurichten. Anstatt wie in jeder kompetenten Trainingslehre vorgesehen, nach dem Spiel auszulaufen, musste die eigene D-Jugend-Mannschaft das Stadion von herumliegenden Steinen säubern. Der Hintergrund: Der Bieberer Berg liegt nach wie vor unter der Glocke eines unsäglichen Sicherheitsdiskurses. Seit dem Regionalligaspiel im Mai gegen Mitaufsteiger Waldhof Mannheim, als sogar CNN-Bilder von Hooligan-Auseinandersetzungen aus Offenbach rund um die Erdkugel schickte, ist man in Offenbach tunlichst bemüht, ständig für Sicherheit zu sorgen. Ein sogenannter Fahnenpass wurde eingeführt, der nur noch die Mitnahme registrierter Winkelemente ins Stadion gestattet, und das in Offenbach berühmte Bengalische Feuerwerk – wichtigster Bestandteil des „Feelings Bieberer Berg“ – wurde unter drakonische Strafe gestellt.

Zum 1:0 reichte es auch so – ein verwandelter Elfmeter von Patrick Dama musste „nach einer Dummheit meines Abwehrspielers“ (Rausch) dafür herhalten. Danach hatten die OFC-Fans nur noch die mittels Stadionansage bekanntgegebene Anwesenheit von Ex-Kickers-Kicker Rudi Völler zu bejubeln. „Alles hat wunderbar geklappt“, freute sich Club-Trainer Friedel Rausch in ungewohnt modischer schwarzer Existenzialisten-Kluft nach dem 3:1-Sieg. Der Club scheint somit bereits nach zwei Saisonspielen auf bestem Wege, den unerwarteten Betriebsunfall Abstieg auszubügeln. Sechs Punkte und Tabellenplatz 2 – trotz wenig berauschender Leistungen und der Verletzungsmisere im Angriff (Hobsch, Feinbier).

Anders die Kickers: Jäh fühlten sich die Anhänger nach der Niederlage auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Auch Coach Hans-Jürgen Boysen erkannte: „Wir haben nach der Führung vergessen, den Rhythmus zu bestimmen.“ Boysen lässt zwar Viererkette pauken, doch fehlt im Offensivspiel gänzlich die Kreativität. Mit der bewährten Haudrauf-Taktik aus der Regionalliga dürften die Trauben in der 2. Spielklasse zu hoch hängen. Das „Feeling Bieberer Berg“ wollte sich an diesem Abend jedenfalls nicht einstellen. Oder wie es ein Verkäufer des Kickers-Fanzines „Erwin“ auf den Punkt brachte: „Keine Bengalos – keine Punkte“. Die erste Euphorie ist beim Aufsteiger gebremst. Von Durchmarsch spricht nun niemand mehr – der Busfahrer der Offenbacher Verkehrsbetriebe wird sich überlegen, ob er seinen Dienst auch beim nächsten OFC-Heimspiel im Kickers-Trikot antritt.

Klaus Teichmann

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