Hoher Sprung, großer Schritt

Hochspringer Martin Buß betrachtet die Bronzemedaille als Sprungbrett zu olympischem Ruhm. Denn: „Mit dem Erfolg kommt das Geld von allein.“  ■   Aus Sevilla Matti Lieske

Eintrittskarte in die „Das ist wie sechs Richtige im Lotto oder drei Richtige im Lotto“-Welt, erklärt Martin Buß die Welten, die zwischen einem dritten und einem vierten Platz bei großen internationalen Wettkämpfen liegen. Mit vierten Plätzen kennt sich der 23-jährige Hochspringer aus. Vierter war er bei der Europameisterschaft 1998, Vierter beim Weltcup 1998 und Vierter auch bei der Hallen-Weltmeisterschaft im japanischen Maebashi 1999. Logisch, dass es in der WM-Broschüre des Deutschen Leichtahletik-Verbandes (DLV) nur eine Antwort gibt auf die Frage, was er denn am meisten hasse in dieser Welt: „Vierte Plätze“. Seit Montag ist Martin Buß den Ruf des ewigen Vierten endlich los. Mit übersprungenen 2,32 Meter holte er sich bei der WM in Sevilla trotz einiger Widrigkeiten die Bronzemedaille und jede Menge Selbstbewusstsein für das nächste Jahr, in dem er sich seinen – laut DLV-Broschüre – größten Wunsch erfüllen will: eine Medaille bei den Olympischen Spielen in Sydney.

Die Chancen dafür stehen gut, denn der Wettkampf in Sevilla hat erneut gezeigt, dass die Trophäen im Springen längst nicht mehr so hoch hängen wie in früheren Zeiten. 2,35 m ist die Bestleistung von Martin Buß, und die Medaillen, hat der Berliner beobachtet, „gehen seit vielen Jahren immer mit 2,35 oder 2,37 weg“.

Im Gegensatz zu den Laufwettbewerben ist die Entwicklung in Hoch-, Weit-, Stabhoch- und Dreisprung zum Stillstand gekommen, und die Spitzenleistungen im Hochsprung haben sich auf einer Ebene stabilisiert, die etwa fünf bis zehn Zentimeter unter dem Weltrekord des Kubaners Javier Sotomayor liegt. Der steht bei 2,45 m und wurde 1993 in Salamanca aufgestellt. Die zwölf nächsthöchsten Sprünge aller Zeiten datieren sämtlichst aus der Zeit vorher. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

In Sevilla zeigte sich die derzeitige Homogenität der Weltspitze in Vollendung. Fast alle der 13 Finalisten übersprangen die 2,29 m, fast alle scheiterten an 2,32 m. „Ich wusste, dass es ein sehr, sehr wichtiger Versuch sein würde“, sagte Martin Buß später zu seinem ersten Sprung über diese Höhe, „und so hat es sich auch herausgestellt.“ Außer dem Deutschen bewältigten nur der Russe Wjatscheslaw Woronin und der Jugoslawe Dragutin Topic, der im Gegensatz zu den beiden anderen drei Versuche benötigte, diese Höhe, der Kanadier Mark Boswell ließ sie ebenso aus wie der Engländer Steve Smith. Der Olympiadritte von Atlanta hatte sich in der Qualifikation verletzt und setzte bei 2,37 m alles auf eine Karte.

Zu diesem Zeitpunkt war der Wettkampf für Martin Buß schon beendet. In der ungünstigsten Phase, genau während des 3.000-Meter-Hindernislaufes, hatte er seine Versuche über 2,35 m absolvieren müssen, und war knapp gescheitert – zusätzlich genervt durch diverse Querelen mit den peniblen Kampfrichtern, die zum Teil sogar die getapten Anlaufmarkierungen der Springer entfernten.

Woronin dagegen blieb cool wie ein Wodka Gorbatschow on the Rocks, und auch Mark Boswell ging die Sache erheblich gelassener an als Buß. „Ich bin daran gewöhnt, unter solchen Bedingungen zu springen“, sagte der Kanadier, der sich mit dem Landesrekord von 2,35 m Silber sicherte. Da auch Topic gerissen hatte, war Smith der letzte, der die Bronzemedaille des Berliners noch gefährden konnte, musste seinen dritten Versuch aber schon während des Anlaufs abbrechen. Dieses eine Mal war der bittere Kelch des vierten Platzes an Buß vorüber gegangen.

Gold holte sich Woronin, der als einziger 2,37 m übersprang und damit eine neue Weltjahresbestleistung aufstellte. „Natürlich habe ich mit ihm gerechnet“, sagte Buß, „den sieht man nie, man hört nichts von ihm, aber bei so was ist er da.“ Den letzten offiziellen Wettkampf hatte Woronin zwei Monate vor der WM bestritten, Martin Buß weigerte sich jedoch, irgendwelche dunklen Machenschaften zu mutmaßen. „Ob ich denke oder nicht, was bringt das“, erklärte er, „die, die was machen, soll man erwischen, denen, die nichts machen, muss man Respekt zollen.“ Ohnehin werde für seinen Geschmack zu viel über Doping spekuliert. Er jedenfalls sei in diesem Jahr bereits sieben Mal kontrolliert worden, 1998 zwölf Mal, was in etwa seiner Idealvorstellung entspricht: In jedem Monat bei jedem Athleten eine Kontrolle.

Viel lieber als über Doping wollte Buß darüber reden, dass er der erste deutsche Hochspringer ist, der eine WM-Medaille gewonnen hat. „Ich bin überaus glücklich“, sagte er, „ich habe alles erreicht, was ich mir für dieses Jahr vorgenommen habe.“ Auch die Ziele für die Zukunft sind klar definiert: Deutscher Rekord, Medaille in Sydney, überhaupt „so viele Medaillen wie möglich sammeln“. Zunächst gehe es – „in meinem Alter“ – jedoch darum, sich „einen Namen zu machen“. Der finanzielle Aspekt der Angelegenheit interessiere ihn erst einmal weniger. „Es ist doch scheißegal, ob ich jetzt 5,90 Mark mehr Sporthilfe kriege“, meinte er. Was keineswegs bedeutet, dass ihm das Geld egal ist. „Ich bin Profisportler, ich bin darauf angewiesen“, sagt Buß, der sein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik aufgegeben hat, um sich ganz dem Leistungssport zu widmen. Zwar müsse er nicht darben, aber „ich kann nicht so viel beiseite packen, dass ich sagen kann, wenn ich mit 30 aufhöre, macht es nichts, wenn ich keinen Job habe“.

Das soll sich ändern, und die Bronzemedaille bei der WM war „ein guter Schritt“ in die angestrebte Richtung. „Wenn ich Erfolg habe, kommt das Geld von allein“, ist Martin Buß sicher. Und Erfolg bedeutet vor allem eins: Nie wieder Vierter.