: Schlechtes Beispiel für Korea
■ Das Szenario eines geeinten Landes verliert in Südkorea an Popularität. Angst vor Vereinigungsproblemen wie in Deutschland
Seoul (taz) – Für viele Südkoreaner ist die Wiedervereinigung mit Nordkorea kein unanfechtbares Ziel mehr. Meinungsforscher glauben, ein wichtiger Grund dafür seien die Mühen und Pannen des deutschen Vereinigungsprozesses, die in Korea die Angst vor dem, was die eigene Wiedervereinigung bringen könnte, anfachen.
Umfragen des Korean Institute for National Unification (KINU) zeigen, dass im Süden die Unterstützung für eine friedliche Koexistenz der beiden koreanischen Staaten zwischen 1995 und Ende 1998 von 7,7 Prozent auf 11,8 Pozent gewachsen ist. Immer weniger Südkoreaner halten es überhaupt für möglich, dass sich die Grenze in naher Zukunft öffnet: 1994, unter dem Eindruck der deutschen Wiedervereinigung, waren es noch 73,8 Prozent, ein Jahr später 50,4 Prozent und Ende 1998 nur noch 33 Prozent.
Die Ereignisse in Deutschland hätten die Koreaner damals in Euphorie versetzt, sagt KINU-Meinungsforscher Choi Jin-Wook, doch dann habe sich das geändert: „Als immer mehr negative Berichte über die Probleme der deutschen Wiedervereinigung kamen, sahen die Koreaner die Zukunft Deutschlands zunehmend kritisch.“ Und zogen Schlüsse für ihr eigenes Land: Was den Deutschen solchen Ärger bereitete, könnte Korea erst recht in die Krise stürzen. Die Aufbauarbeit in Nordkorea würde viel aufwendiger sein als die in Ostdeutschland, die Abwanderung vom armen Norden in den wohlhabenden, zuletzt aber krisengeschwächten Süden viel stärker. Für noch wichtiger als das deutsche Beispiel hält Choi allerdings die Wirtschaftskrise im ostasiatischen Wirtschaftsraum.
Etwa 30.000 Koreaner leben in Deutschland, darunter 5.000 Studenten. Viele, die den Fall der Mauer in Deutschland erlebten, sind heute wieder in Korea. Professor Park Kwang-Ki war damals Wissenschaftler an der Universität München, heute leitet der Politologe das Nordostasien-Institut der Universität Taejon. Aus der deutschen Wiedervereinigung folgert er: „Korea sollte sich überhaupt nicht vereinigen. In Deutschland mag die Wiedervereinigung politisch ein Erfolg gewesen sein, aber sie war es weder menschlich noch moralisch.“
Vereinigungsgegner Park fordert, die südkoreanische Regierung solle zumindest behutsamer vorgehen als die damalige deutsche Regierung. Dem entspricht ein Szenario, über das in Südkorea seit längerem diskutiert wird: Es sieht vor, die Teilung vorläufig beizubehalten, falls sich Nordkorea öffnet. Erst wenn der Norden mit Hilfe des Südens ein wirtschaftliches Mindestniveau erreicht hat, soll Korea wieder zu einem Staat verschmelzen.
Nach Ansicht des Vertreters der CDU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung in Seoul, Gerd Michels, könnte Korea diesem Szenario schon bedeutend näher sein, hätte die deutsche Wiedervereinigung nicht stattgefunden: „Es gab damals ratifizierte Verträge über einen Gewaltverzicht, den Abbau des Militärs, Familienzusammenführung, kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit.“ Diese Annäherung habe das nordkoreanische Regime unterbrochen, als ihm das Schicksal der DDR-Führung und der Nationalen Volksarmee bewusst geworden sei, sagt Michels. Danach habe sich die Front zwischen Norden und Süden zusehends verhärtet. Christian Schaudwet
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