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Der Filmemacher wird Taxifahrer

Viele Filme aus Berlin finden keinen Verleih. Unverdientermaßen, finden die Betreiber der Kinos in den Hackeschen Höfen und zeigen schöne Dokumentarfilme und „Zoe“, ein lustiges Berliner Sozialdrama  ■   Von Detlef Kuhlbrodt

Manche Filme haben einen Verleih; andere müssen sehen, wie sie ganz allein zurecht kommen. Nach einer kleinen Premiere unter Freunden, nach dieser und jener Festivalteilnahme in Brandenburg oder Lübeck ist oft schon Schluss. Verleiher sagen vielleicht noch höflich, ist ja ganz schön, das Mauerblümchen, aber doch nicht so toll, und leider müssen wir uns grad um so viele kleine Filme kümmern, so dass das alles keinen Sinn hat, und danach kann sich der Film dann mit sich selber amüsieren. Der hoffnungsfrohe Filmemacher wird Taxifahrer und wird sein Werk in ein paar Jahren vielleicht den staunenden Kumpels vom Imbiss an der Ecke zeigen, falls es den dann noch gibt.

Andere Filmemacher wollen auch gar keinen Verleih haben, weil sie schlechte Erfahrungen mit Verleihern gemacht haben und ihr Werk lieber selbst vermarkten wollen, was zudem den Vorteil hat, dass sie möglicherweise ihre eigene Arbeit bezahlt kriegen könnten.

Wie auch immer: Vor allem bei uns zu Hause, also in Berlin-Brandenburg mit seinen zwei Filmhochschulen, diversen Filmproduktionsanstalten und kreativen Filmeinzelkämpfern, ist der Anteil der Filme, die notwendigerweise keinen Verleih finden, relativ groß. Das hat weder im positiven (Subversives Dies und Das) noch im negativen (Rausschmeißerfilme) Sinne mit der Qualität der Filme zu tun, sondern ist einfach so.

Derlei Filme einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren, haben sich jedenfalls Gerhard Groß („trotz neuer Rechtschreibung immer noch ohne ss“) und Burckhard Voiges („mit Dehnungs-E aus dem Hugenottischen“), die Betreiber des Kinos in den Hackeschen Höfen, vorgenommen. Auch „für die Etablierung eines eigenen Profils“ starteten sie im Juni mit einer „Noch zu haben“ betitelten Filmreihe. Halb ironischerweise wird die Reihe von Andreas Runde, der ansonsten für den verdienstreichen Salzgeber-Filmverleih tätig ist, betreut.

Das Konzept ist einfach: Aktuelle Filme vor allem aus der Region Berlin-Brandenburg werden jeweils zumindest zwei Wochen auf der Hauptprogrammschiene zwischen sieben und neun gezeigt.

Die Planung ist schwieriger: denn der verleihlose Film, den man beispielsweise für Mitte September im Auge hat, könnte ja plötzlich doch noch einen Verleih bekommen, was seine Präsentation im Rahmen der Reihe logischerweise verhindern würde. Die Filme müssen also kurzfristig terminiert werden.

Für diejenigen Regisseure, die nicht aus Überzeugung auf einen Verleih verzichten, ist die Präsentation innnerhalb der Reihe durchaus ambivalent. „Wenn der Film hier gelaufen ist, könnte das für potenziell interessierte Verleiher ein Grund sein, ihn nicht zu nehmen“ – Berlin, ein ziemlich großer Markt für kleine Filme, fällt dann ja aus. Andererseits könnte ein Berliner Erfolg auch wieder das Interesse von Verleihern wecken.

Wie auch immer: Die Idee sei schon ein Jahr alt, erzählen die Kinobetreiber, nur mussten sie eine Weile auf den Film warten, von dem sie das Gefühlt hatten, „mit dem kann man starten“. Dann kam „Nonstop“, Olafur Sveinssons bereits bei der Berlinale bejubelte urbanistische Mikrostudie, in der es um die Stammgäste eines Stehtisches in einer dea-Tankstelle geht: Hier treffen sich ostwestliche Taxifahrer, portugiesische Bauarbeiter, nette Rentner, die unter Schlaflosigkeit leiden, und eine Frau, die sich zum Mann umbauen lassen möchte (vielleicht auch umgekehrt), sich mal eher als Lesbe, mal mehr als Schwuler fühlt und später von der Tanke in die nationale Szene wechselt. „Nonstop“ ist jedenfalls gleich supergut eingeschlagen. Fünf Wochen lang lief der wunderschöne Dokumentarfilm auf der „Hauptschiene“ des Kinos, und seitdem sie ihn gesehen haben, zitieren viele Menschen den schlicht schönen Satz, den einer der beschnauzten Taxifahrer in dem Film sagt: „Früh aufstehen – das ist nicht so meine Welt.“ So soll's sein.

Der zweite Film der Reihe ist Bettina Haasens angenehm zurückhaltendes Reisetagebuch-Roadmovie „Zwischen zwei Welten“, in dem die Filmemacherin von einer Reise in den Niger erzählt, auf der sie versucht, einen Nomaden wiederzutreffen, bei dem sie fünf Jahre zuvor Haussa gelernt hatte. Dieser Film war zwar nicht so erfolgreich wie „Nonstop“, immerhin kamen aber 200 Leute zur Premiere an einem heißen Julitag.

„Ich bin selten von so vielen Leuten nach einer Vorführung angesprochen worden“, sagt Andreas Runde. „Ich hab an dem Abend drei Cassetten von Leuten in die Hand gedrückt bekommen, die ihren Film gleich mitgebracht hatten, weil sie ja wussten, worum es geht. Das hat gezeigt, dass wir mit unserer Reihe einen Nerv getroffen haben.“ Besonders gut ist daran, dass sehr viele Leute aus der Medienbranche dabei waren, was unter anderem ja auch Sinn der Sache sein soll. Am 26. August startete nun der dritte Film der Reihe, bei dem man nun wirklich nicht so recht weiß, wieso die Verleiher kein Interesse hatte. Denn Maren Kea-Freeses dffb-Abschlussfilm „Zoe“ ist im Gegensatz zu den bisher gelaufenen Filmen kein Dokumentar-, sondern ein spannender, lustiger Berlinfilm; ein selten genau beobachtetes kreuzbergisches Sozialdrama mit authentischen Wohnungen, einer großartigen Hauptdarstellerin (Kirsten Hartung), einem prima Auftritt der Akteure des Berliner Obdachlosentheaters Die Ratten, das sich mit einer ganz eigenen Sprödigkeit dem Elendsklischee entzieht.

„Zoe“ erzählt von einer 26-Jährigen, die ohne Wohnung und mit zwei Plastiktüten – in einer sind die Platten, mit denen sie sich ab und an als DJane ein bisschen Geld verdient, in der anderen Klamottendiesunddas – durch Berlin zieht, sich mit Bekannten, bei denen sie unterkommen möchte, streitet, neue Bekanntschaften macht, vom Tod ihrer Mutter erfährt, in die heimatliche Provinz fährt, dem Leben ihrer Mutter nachrecherchiert und erfährt, dass diese kurz vor ihrem Tod nach Berlin gezogen ist, in einer WG gelebt und ihrer Mitbewohnerin Steptanz beigebracht hat.

Besonders imponierend ist die Präzision, mit der Maren Kea-Freese ein Milieu schildert, das nicht nur in Kreuzberg seit den Achtzigerjahren bestimmend ist, jedoch nie Eingang in den Film gefunden hat: die sozusagen proletarisch-alternative Szene derer, die immer augenblicksbezogen, mit wenig Geld und viel enervierenden Beziehungsgesprächen sich selbst knapp verfehlen, die normal labile Welt dreißigjähriger Kiffer, die immer noch in den normal heruntergkommenen Wohnungen mittelloser Studenten hausen. Und das Tolle daran ist, dass der Film nie langweilig ist; im Gegenteil: Manchmal erschrickt man fast über die Freigiebigkeit der Regisseurin, die in einen Film so viele großartige Ideen einsetzt wie andere vielleicht in zehn Filmen. Ohne dass der Film deshalb überladen wirken würde. Zoe wurde beim Filmfest München mit dem Regieförderpreis der Hypo Vereinsbank ausgezeichnet.

Möglicherweise fand der Film keinen Verleih, weil die Verleiher meinten, dass der Markt durch die doch etwas arg gehypten „Nachtgestalten“ schon erschöpft wäre. Doch das ist ein falscher Gedanke!

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