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Ungarns zweideutige Signale an die Wojwodina

■ Ungarns Rechtsextremisten fordern einen Anschluss der Wojwodina an Ungarn, die Regierung distanziert sich nicht. Derweil erarbeiten die Wojwodina-Ungarn eine Autonomie

Bukarest (taz) – „Das Ungarntum darf nicht mehr zurückweichen!“ Diese Losung schallte am vergangenen Freitag über den Budapester Heldenplatz. Ausgerufen hatte sie Istvan Csurka, ein antisemitischer Politiker und Chef der rechtsextremen „Ungarischen Lebens- und Gerechtigkeitspartei“ (MIEP). Vor zehntausend Menschen wetterte er in verquast-völkischem Ungarisch. Nur seine Forderungen formulierte er klar: Ungarn müsse verlorene Gebiete, in denen ungarische Minderheiten leben, annektieren. Die Regierung rief er auf, bei der UNO vorzusprechen, damit diese die serbische Wojwodina unter ihre Aufsicht stelle. Später solle sie deren Anschluss an Ungarn ermöglichen.

Solche Töne von Csurka und Mitgliedern seiner Partei sind nichts Neues. In der jetzigen innenpolitischen Landschaft Ungarns jedoch verdienen sie Aufmerksamkeit. Denn der Schutz der 350.000 Ungarn in der Wojwodina ist derzeit nicht nur Csurkas Lieblingsthema, sondern auch eines der vorrangigen außenpolitischen Ziele der national-konservativen Budapester Regierung.

Sie forderte schon vor Ausbruch des Kosovo-Krieges, dass die Wojwodina und die dort lebenden 350.000 Ungarn die 1989 abgeschaffte Autonomie zurückerhalten müssten. Im Zuge des Krieges weiteten Ungarns Regierungspolitiker diese Forderung aus: Die Wojwodina sollte in einen Friedensplan für Jugoslawien und das Kosovo miteinbezogen werden, um zu verhindern, dass die Ungarn die nächsten Opfer von ethnischen Säuberungen würden.

Die ungarische Regierung sieht sich dabei als Fürsprecherin der politischen Vertreter der Wojwodina-Ungarn. Diese hatten schon kurz vor dem Ende des Kosovo-Krieges angekündigt, einen Autonomieplan für die Wojwodina zu entwerfen. Der liegt noch nicht endgültig vor. Klar ist aber, dass er mindestens auf eine weite Föderalisierung der Wojwodina innerhalb Jugoslawiens zielt. Laut den Vorstellungen der meisten Vertreter der Wojwodina-Ungarn würden diese auch in einer solchen Föderation noch einmal weitgehende Selbstverwaltungsrechte erhalten, und zwar im Nordteil der Region. Ein am vergangenen Wochenende von Politikern der Wojwodina-Ungarn gegründeter „Provisorischer Ungarischer Nationalrat“, will nun den Plan fertig stellen.

Zwar versichern Politiker der Wojwodina-Ungarn, dass sie keinen Staat im Staat schaffen wollten und ihr Ziel nicht die Unabhängkeit der Wojwodina oder deren Anschluss an Ungarn sei. Auch die ungarische Regierung betont, dass es ihr nicht um eine Grenzrevision gehe, sondern um Minderheitenschutz.

Anderseits hat besonders Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban durch zweideutige Äußerungen wiederholt Anlass zu Spekulationen gegeben. Angetreten als „Ministerpräsident von 15 Millionen Ungarn“, also auch der 5 Millionen, die als Minderheiten in den Nachbarländern leben, weigerte sich Orban bisher, Vorstellungen wie denen von Csurka eine eindeutige Absage zu erteilen. So hatte die sozialistisch-liberale Opposition die Regierung vergangene Woche aufgefordert, sich von den Zielen der Csurka-Partei zu distanzieren. Orban entgegnete, die „Bürger Ungarns ebenso wie die Ungarn außerhalb der Landesgrenzen“ seien „Mitglieder einer unteilbaren Nation“.

Besorgnis hat bei Ungarns Nachbarn auch erregt, dass die ungarische Regierung von der Nato verlangt, den Schutz der Wojwodina-Ungarn militärisch durchzusetzen, was eine Annexion der Wojwodina bedeuten würde.

Csurka und seine Partei wollen nun eine Massenbewegung zum Anschluss der Wojwodina an Ungarn aufbauen. „Das Prinzip der Unverletzbarkeit der Grenzen ist eine Lüge“, rief Csurka während eines Gespräches im ungarischen Kossuth-Radio“ aus. „Schon eine winzige Grenzänderung kann 300.000 bis 500.000 Ungarn retten und sie vor der Entnationalisierung bewahren.“ Keno Verseck

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