: Indien, mitten im Alpenland
■ Der Schweizer Hackbrettvirtuose Remo Crivelli war Gast bei Uncle Mo im Moments
Beim Hackbrett verklingt der einzelne Ton viel schneller als beispielsweise beim Klavier. Doch auch hier macht Erfindungsgeist aus dem Mangel eine Tugend. Soll eine Melodie schön legato klingen, drischt der Spieler einfach, um Klanglöcher zu vermeiden, mit beiden Klöppeln pausenlos und blitzschnell auf einen Ton ein, ehe er zum nächsten fortschreitet.
Meister Remo Crivelli aus der Schweiz öffnet sich so ziemlich allen Kulturen, minimal music, Jazz und Asiatischem. Nur eines hört man aus seinen klöppelschunkelnden Handgelenken garantiert nicht: Alpenländisches. Souverän ignoriert er die musikalische Tradition seines Instruments. Die flirrende Repetitionstechnik allerdings hört man auch von ihm – und, zum Verwechseln ähnlich, von Gitarristen Peter Apel. Und nach einigen Besuchen bei „Who's Uncle Mo?“ im Moments nährt sich ein Verdacht. Das, was dieser Mensch in Händen hält, ist wahrscheinlich kein Instrument, sondern ein Tier, ein Chamäleon, das nur manchmal auf Gitarre macht, aber sich genauso gerne als Sitar oder Hackbrett ausgibt.
Wer Uncle Mo nur aus den Programmflyers kennt, könnte meinen: Nun ja, da laden sich lokale Jazzgrößen eben schillernde Persönlichkeiten aus aller Welt ein, damit es wenigstens ein bisschen Abwechslung gibt. Doch bei Uncle Mo verkörpert fast jeder Musiker einen umfangreichen musikalischen Kosmos. Losrocken oder versenken: Das ist zum Beispiel für Percussionspieler Dieter Gostischa keine Bekenntnisfrage. Beides ist schön, und deshalb verschanzt er sich mal hinter fettem Trommelgeschwader und mal kauert er versonnen vor Tabla-artigem.
Wahrscheinlich sind Musiker Götter. Deshalb imitieren sie so gerne die Schöpfungsgeschichte, scheiden am Konzert- oder Stückbeginn erst einmal säuberlich die Erde vom Wasser, will sagen, einen Ton von drei, vier anderen, und entwickeln erst allmählich und nachvollziehbar komplexere Strukturen. Auch ein ernster, bewegungsloser Crivelli schlug sich am Anfang mit dem Schwierigsten überhaupt, der großen Leere, herum. Vergeblich. Statt im Nirwana landete er beim Erbsenzählen. Wäre da nicht im dritten Lied Peter Apel gewesen, der mit ein paar schwer expressionistischen Linien wie aus alten Mahavishnu-Live-Orchestra-Zeiten drogiges Gefühl dreingab.
Und irgendwann nach Mitternacht war dann tatsächlich eine neue Welt erschaffen. bk
Die „Who's Uncle Mo“-Reihe ist jeden Mittwoch im Moments zu erleben
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen