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Kastrierter Hundsgesang

■ Schwarzer Humor und traurige Lieder: Die Tiger Lillies aus London mit „Alone With The Moon“ in der Bar jeder Vernunft

Wenn die Tiger Lillies Abschied von der Königin der Herzen nehmen, klingt das alles andere als schmusig-sülzend und nach „Candle in the Wind“. Mit der nüchternen Akribie eines Leichensezierers beschreibt Sänger Martyn Jacques, was genau passierte, als Lady Di gegen den Betonpfeiler prallte: Crash! Der Schädel zerschellt, die Glasscherben schneiden sich ins Gesicht, die Knochen splittern.

The Tiger Lillies sind keineswegs hämische oder gar bösartige Menschen, die posthum zynischen Schabernack mit Diana treiben. Sie kennen einfach keine falsche Scham. Sie wissen um die Morbidität in allen Dingen und sie singen einfach von jenen Menschen, die im herkömmlichen Liedgut ansonsten nur selten zu ihrem Recht kommen: von wollüstigen Sodomisten und ihrer Liebe zu Schafen oder auch Fliegen, Huren, scheiternden Selbstmördern und Junkies, Kinderschändern oder feurigen Brandstiftern.

Die Lieder der Tiger Lillies (die sich nach einer legendären Londoner Hure benannt haben) führen direkt in die allzu menschliche Vorhölle. Lauter kleine, oft ganz harmlos vorgetragene Moritaten, die allesamt von den dunkelsten Seiten des Lebens berichten. Da legt dann Martyn Jacques seinen Kopf in den Nacken, das Gesicht weiß geschminkt, auf dem Kopf einen Bowlerhund. Streckt den Bauch vor, lässt sein Akkordeon seufzen und asthmatisch keuchen, blickt in den imaginären Mond am Zeltdach und beginnt mit seinem Hundsgesang.

Eine engelsgleiche und doch manchmal ziemlich bedrohliche Stimme, die man kaum vergisst. Wie ein scharrender Kastrat. Man mag an Countertenöre, an Klaus Nomi denken oder an die Stimme von lustigen Damenimitatoren. Aber lustig klingt Marty Jacques eigentlich nie. Eher traurig. Verloren und sehnsüchtig.

The Tiger Lillies, die im vergangenen Jahr im Hebbel-Theater mit ihrer Junk Opera „The Shockheaded Peter“ zu Gast waren, sind nun mit einem rein musikalischen Programm zurückgekehrt. Kaum ein Ort in Berlin passte besser als das Varieté-Zelt der „Bar jeder Vernunft“. Denn nicht nur ihre comedyartigen Ausflüge während ihrer Performance bringt die Nähe zum Cabaret. Das Trio (am Bass der eher stoische Adrian Stout, der sich plötzlich zu einer Schuhplattler-Einlage hinreißen lässt) und der zum Albern aufgelegte Schlagwerker Adrian Hughes (der jede Menge Spielsachen zum Rasseln, Grunzen, Böcken und Lärmen bringt) beweisen sich als moderne Bänkelsänger-Truppe. Sie selbst nennen sich „Arcordeon Driven Criminal Castrati's Anarchic Brechtian Blues Trio“ und fassen damit schon die wesentlichsten Merkmale zusammen: Hier begegnen sich Weills „Dreigroschenoper“ und der „Black Raider“ von Tom Waits; es mischen sich der Sound des Vaudeville, Zirkus- und Rummelplatzmusik mit Sauf-, Gassen- und Hinterhofliedern zu einer mal lärmend-exotischen, mal poetisch-anrührenden Klang-Melange. So böse, düstere Geschichten, so viel schwarzer Humor und doch so zärtliche, todtraurige Lieder.

Axel Schock

Bis 30. 8., 20.30 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, Wilmersdorf

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