: Als die Computerspiele laufen lernten
■ Mit dem Münzspielautomaten Pong fing in den Siebzigerjahren alles an. Dann kam Pacman, die erste Spielkonsole für das Wohnzimmer. Danach explodierte der Markt
Verfolgt von bösen Geistern kämpft sich ein Männchen durch das Labyrinth. Es hat keinen Körper, nur einen Kopf mit einem riesigen Schnappmaul. Wenn es nicht flink viele Punkte frisst und rechtzeitig vor den Geistern flüchtet, droht ihm der Tod. Der kleine Kerl namens „Pacman“, der vor neunzehn Jahren als Pionier der Unterhaltungssoftware zum ersten Mal in den Wohnzimmern über die Bildschirme geturnt ist, hat als Videospiel-Star Geschichte geschrieben.
Auf der Internationalen Funkausstellung (IFA), die von heute an für zehn Tage in Berlin ihre Pforten geöffnet hat, leben die virtuellen Pinoniere von Anfang der 70er und 80er Jahre wieder auf. Präsentiert werden sie von den Machern des Berliner Computerspielmuseums, Andreas Lange und Jan-Ole Christian. Das kleine Museum, das in Europa einzigartig ist, stellt die Geschichte der Computer- und Videospiele zur Schau.
Zu den für die IFA ausgewählten Ausstellungsstücken gehört das von dem Amerikaner Nolon Bushnele 1972 entwickelte legendäre Video-Automatenmünzspiel „Pong“ . Bei dem Schwarzweißspiel wird ein Ball wie beim Tennis von zwei beweglichen Balken über die Mittellinie geschlagen. Wenig später erfand der von Deutschland in die USA emigrierte Ralph Baer das erste Heim-Videospiel: „Odyssey“.
Auf der Funkausstellung werden auch die ersten „handhelds“ von 1976 gezeigt, Vorläufer des Gameboys der japanischen Computerfirma Nintendo. Die ersten „handhelds“ hatten auf dem Display nur einen roten Punkt, den es zu treffen galt.
Die schon fast vorsintflutlich anmutenden Exponate des Museums sind auf der IFA auf dem Oberdeck der Playstation von Sony in der Halle „Entertainment-World“ zu finden. Die Halle ist eine gigantische Spielhölle mit dutzenden von Videospielkonsolen, auf denen die Besucher die neuesten Spiele nebst Computer-Technik erproben können. Lightshows und lautstarke Soundtracks erfordern starke Nerven.
In den vergangenen Jahren noch über das Messegelände verstreut, hat die IFA die Zeichen der Zeit erkannt und die Unterhaltungssoftware auf einer 12.000 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche konzentriert. 35 Firmen, darunter die Marktführer Sony, Sega und Nintendo, sind mit großen, aufwendigen Spielstationen vertreten. Lego und Disney haben einen Gemeinschaftsstand für Kindersoftware.
Das Geschäft mit Computer- und Videospielen explodiert. 1998 verzeichnete der Verband für Unterhaltungssoftware (VUD), dem rund 50 Firmen-Niederlassungen in der Bundesrepublik angehören, einen Jahresumsatz von knapp 3 Milliarden Mark. „Dieses Jahr erwarten wir 3,5 Milliarden“, sagt VUD-Geschäftsführer Hermann Achilles. Aber der Höhenflug soll weitergehen. „Wir haben die Musikbranche fest im Visier, die einen Jahresumsatz von 5 Milliarden verzeichnet“, sagt Achilles.
Die futuristische Aufmachung vieler Anbieter lässt die Ausstellung des Berliner Computerspiele-Museums noch kleiner und bescheidener wirken, als sie ohnehin schon ist. Deplatziert fühlt sich Andreas Lange dennoch nicht. Sein Museum befindet sich normalerweise in einer drei Zimmer-Parterre Wohnung in einem Ostberliner Altbau. „Wir freuen uns, bei der IFA dabei zu sein“, sagt er. „Die Computerspiele sind das menschliche Antlitz der Computer, die früher nur für Spezialisten zugänglich waren. Die Spiele haben die Computer in die Haushalte gebracht und damit das Feld für die Informationsgesellschaft bestellt.“
Den geistigen Vater von Pong, Nolon Bushnele, hat Lange persönlich kennengelernt. Der US-Amerikaner, Gründer der ersten Videospielfirma Atari, hat das seit zweieinhalb Jahren bestehende Museum besucht. Als Geschenk brachte er einen signierten und mit Pacman-Figuren bedruckten Overall mit, der in einer Vitrine ausgestellt ist. „Pacman ist auch der Pionier für die weitere Vermarktung von Computerspielfiguren. Er ist das, was Lara heute in Reinkultur ist“, erzählt Museumsdirektor Lange. Wie viele andere virtuelle Stars ist die Archäologin der gleichnamigen Adventurespielserie nicht nur auf dem Bildschirm zu finden. Die vollbusige Lara ziert Uhren und T-Shirts und verkauft sich auch bestens als Bettwäsche. Plutonia Plarre ‚/B‘www.computerspielemuseum.de
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