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„Ethnische Kantone stellen ohnehin eine Realität dar“

■ Auch Vertreter der serbischen Opposition fordern eine „Kantonisierung“ des Kosovo. Grundlage ist ein neues Planspiel der berüchtigten Akademie der Wissenschaft und Künste

Wien (taz) – Es war kein Geringerer als ein führender Kopf der serbischen Opposition in Belgrad, der gestern erneut eine Kantonisierung des Kosovo einklagte. Zoran Djindjic, Vorsitzender der Demokratischen Partei, forderte auf einem Bulgarienbesuch nicht nur einen besseren Schutz der serbischen Minderheit im Kosovo, sondern die „ethnische“ Aufteilung der Provinz. „Wir unterstützen die Kantonisierung des Kosovo, denn ethnische Kantone stellen ohnehin eine Realität in dieser Region dar. Die Kosovo-Serben brauchen eine Selbstverwaltung, weil sie nicht von Albanern regiert werden können“, sagte Dindjic. Auch wenn die internationale Gemeinschaft dem ablehnend gegenüberstehe, werde die serbische Opposition alles daran setzen, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Dies sei der einzige Weg, so Djindjic, um eine „ethnische Säuberung“ im Kosovo zu verhindern.

Der Sprecher der lokalen Serbenvertretung im Kosovo, Momcilo Trajkovic, hatte den Vorschlag einer Kantonisierung des Kosovo am Mittwoch bereits dem Sonderbeauftragten der UN-Verwaltung für das Kosovo, Bernard Kouchner, unterbreitet. Nach diplomatischer Gepflogenheit sagte der Franzose „eine eingehende Prüfung“ der Vorschläge zu, um sie gleichwohl wieder zu verwerfen. Das hinderte jedoch mehrere regimekritische Belgrader Zeitungen nicht daran, das Gerücht in die Welt zu setzen, die Staatengemeinschaft könne sich eine „Kantonisierung“ vorstellen. Es seien nur die „uneinsichtigen“ Albaner, die mit ihrer weltweiten Lobby diese Pläne bekämpften und die internationale Meinung gegen die Serben aufbrächten.

Während die Albaner vor dem Krieg im Kosovo 86 Prozent, Serben und andere Slawen etwa 10 Prozent der Bevölkerung stellten, ist die Provinz nach Flucht und Vertreibung der Serben nun zu etwa 99 Prozent albanisch. Auch wenn die internationale Gemeinschaft den Schutz der Serben im Kosovo zu einer vorrangigen Aufgabe gemacht hat, dienen Akte von Vertreibung und Misshandlung der serbischen Bevölkerung als Anlass, eine „Ethnisierung“ der Region zu fordern. Der ideologische Kopf dieser Gedankenspiele ist Dusan Batakovic, derzeit Gastprofessor an der Pariser Sorbonne. Der serbische Denker sieht die einzige Möglichkeit, den Balkan zu befrieden, in einer „Kantonisierung“ ethnisch gemischter Siedlungsgebiete. Für das Kosovo lautet der Vorschlag, Serben und Albaner neu umzusiedeln. Batakovic beansprucht dafür „nur“ ein Drittel der kriegsgeschüttelten Provinz für die Serben.

Batakovic ist Mitglied der Serbischen Akademie der Wissenschaft und Künste in Belgrad. Diese Akademie hat seit 1986 schon manch dubioses Manifest veröffentlicht und in immer neuen Variotionen einen serbischen Nationalstaat gefordert. Einmal war es ein Großserbisches Reich, ein anderes Mal ging es den Schriftstellern und Philosophen um eine Neugestaltung Jugoslawiens als Balkan-Union, dann wieder um die Schaffung eines serbischen Nationalstaates. Neueste Idee ist eine Kantonisierung des Kosovo, Makedoniens, Montenegros und Bosniens. Laut Batakovic müssten die serbisch besetzten Gebiete in Bosnien, also die Republika Srpska, das Recht in Anspruch nehmen können, sich „friedlich“ mit dem Mutterland Serbien zu vereinen. Auch die Serben in Nordmakedonien sollen von einem solchen Sezessionsrecht Gebrauch machen können. Was er seinem Volk zugesteht, darf freilich für andere noch lange nicht gelten. Das Kosovo muss grundsätzlich Teil Serbiens bleiben, die Mehrvölkerregion Wojwodina ebenfalls und die mehrheitlich muslimisch-bosniakisch besiedelte Region Sandzak erst recht.

Die intellektuellen Planspiele der Serbischen Akademie haben schon mehrfach die ideologische Grundlage für Kriege auf dem Balkan geliefert. Sie mögen derzeit als rein dubiose Gedankenspiele erscheinen. Erschreckend ist, wie sehr sie selbst in Teilen der serbischen Opposition verankert sind. Karl Gersuny

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