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Traditionalisten oder Modernisierer?

Das Recht, Gerechtigkeit einzufordern, wird heute mit dem Einwurf abgewehrt, alles wäre nur Neid auf die Reichen

Die in den Medien immer wieder vorgenommene Klassifizierung von Politikern oder ihrer Richtung in Traditionalisten oder Modernisierer ist oberflächlich und gleichzeitig der Versuch, missliebige, den eigenen Vorstellungen nicht entsprechende Politik als veraltet und überholt darzustellen. Dabei wird fälschlicherweise Traditionalismus mit Tradition gleichgestellt.

[...] Hier stellt sich die Frage: Sind Recht und Freiheit, ergänzt durch Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Solidarität, hohle Worte, die nur bei Fest- oder Gedenktagen Erwähnung finden, oder haben diese Worte auch in unserer Gesellschaft einen Inhalt, der gelebt werden muss?

Ist es nicht richtig und notwendig, dass diejenigen, die große Einkommen haben, gerechterweise ihren Möglichkeiten entsprechend, den Beitrag zu Gesellschaft und Staat leisten, der ihren Einnahmen entspricht? Oder ist es gerecht, dass diese Bevölkerungsgruppe ihre Annehmlichkeiten, die der Staat bietet, umsonst bekommt, die abhängig Beschäftigten aber die Leistungen erbringen sollen, die unser Staatswesen ausmachen? [...]

Ist es eine schlechte Tradition, wenn sich alle gesellschaftlichen Gruppen entsprechend ihren Fähigkeiten am Staat als Gemeinwesen beteiligen? Ist es eine schlechte Tradition, wenn Gerechtigkeit eingefordet wird zwischen den gesellschaftlichen Gruppen in der Bevölkerung? Das heißt zwischen Alten und Jungen, Frauen und Männern, Reich und Arm, zwischen Familien mit und ohne Kindern? Ist es eine schlechte Tradition, Solidarität einzufordern von denen, die nicht hungern müssen, die gesund sind, die im Überfluss leben, die leistungsfähig sind, denen zu helfen, die auf dieses Glück verzichten müssen?

Als Gegenpart zum Traditionalisten wird der Modernisierer als zukunftsfähig dargestellt. Die Modernisierer führen an, dass die Eigenverantwortung des Einzelnen gefordert wird, aber wo oder bei wem fängt das an? Bei den Schwachen, die nicht in der Lage dazu sind und die nicht die Kraft und Fähigkeit haben, sich selbst zu helfen? Ist die Forderung der Eigenverantwortung nicht einfach ein Sichdrücken vor der Verantwortung derer, die stark und fähig sind, den Schwachen zu helfen?

[...] Wenn es das Ziel ist, den „American way of life“ bei uns in Deutschland und Europa durchzusetzen, und man dies mit Modernisierung gleichsetzt oder wenn die Globalisierung als Naturereignis dargestellt und gleichzeitig alles Gute und Erhaltenswerte zerstört wird, dann hat dies wohl mit Modernisierung im Sinne einer Zukunftsfähigkeit nichts mehr zu tun. Eine Modernisierung kann wie bei einem alten Haus nicht in der Zerstörung des Alten liegen, sondern im Erneuern des Erhaltenswerten, das sonst unwiederbringlich verloren wäre.

Diejenigen, die sich gern als Modernisierer bezeichnen oder bezeichnen lassen, sind keine Erneuerer, sondern nur Nachläufer der Mode und meinen, modische Kleidung, Gehabe mit Schlagwörtern von betrieblichen Umorganisationen und englische Aussprache würde sie qualifizieren, unsere Gesellschaft zu erneuern. Ohne das Erhalten und Pflegen der Traditionen, ohne das Einfordern von Gerechtigkeit und Solidarität wird eine Gesellschaft zugrunde gehen.

Das Recht, Gerechtigkeit einzufordern, wird heute mit dem Einwurf abgewehrt, alles wäre nur Neid auf die Reichen. Dies ist ein billiger Versuch, diejenigen in ein schlechtes Licht zu rücken, die den Mut haben, Unrecht beim Namen zu nennen. Derjenige, der anderen Neid vorwirft, hat wahrscheinlich genügend Grund dazu, die Anwendung von Gerechtigkeit zu fürchten. Jeder, der in ehrlicher Arbeit, ob als abhängig Beschäftigter, Selbständiger oder Unternehmer sein Einkommen verdient, hat es nicht nötig, andere des Neids zu beschuldigen.

Wenn die Benachteiligung großer Teile der Gesellschaft zunimmt, werden diese sich irgendwann so wehren, dass diejenigen, die sich den Traditionen der Gerechtigkeit, Solidarität, Gleichheit und Freiheit entziehen, sich ihres Reichtums und Egoismus nicht mehr lange erfreuen dürfen. Eine Gesellschaft, in der nur das Ego zählt, in der alle guten und wichtigen Werte und Traditionen als entbehrlich betrachtet werden, verliert ihre Identität, ihre Einzigartigkeit und damit die Möglichkeit, die Vielfältigkeit der Kulturen und Traditionen der Erde zu erhalten.

Noch haben wir in Deutschland die Möglichkeit, durch die vielen fremden Menschen bei uns ihre Kulturen kennen und erleben zu dürfen. Leider werden diese Kulturen nicht nur bei uns, sondern auch in den Ursprungsländern durch den nordamerikanischen Kulturimperialismus verdrängt.

Das Überstülpen einer Gesellschaftsform, die von Amerika vorgegeben wird und in der nur der etwas zählt, der Geld, auf welche Art auch immer, vermehrt, also einen ungezügelten Kapitalismus praktiziert, auf die vielen Formen, Traditionen und Kulturen der Menschheit wäre ein irreparabler Verlust für alle diejenigen, die noch ein Verantwortungsbewusstsein für die notwendige Vielfältigkeit auf der Erde haben. Bernhardt Faaß, Straubenhardt-Feldrennach

betr.: „Warum harte Politik erfolgreich ist“, taz vom 25. 8. 99

Hans-Peter Bartels, Sozialdemokrat und MdB, hat vollkommen Recht: Die vielen Begünstigten der rot-grünen Reformen merken die finanziellen Wohltaten, die über ihnen ausgeschüttet wurden, wirklich nicht – weil sie es gar nicht merken können. Für Bartels und seinesgleichen sind die 30 Mark mehr Kindergeld, die sie seit dem 1. Januar erhalten, doch nur ein besseres Trinkgeld; allein erziehenden Müttern hingegen, die gezwungenermaßen von Sozialhilfe leben müssen, wird die Erhöhung gleich wieder von der Staatsknete abgezogen. Da tröstet es natürlich die zuletzt Genannten ungemein, dass ihnen in den nächsten zwei Jahren die Realeinkommenssicherung zugestanden wird. Verhungern müssen sie also auch in Zukunft nicht. Und das ist doch fast schon mehr, als man von einer rot-grünen Bundesregierung erwarten kann. Uwe Tünnermann, Lemgo

betr.: „Notbremse“ (Zu Riesters Rentenplan gibt es keine sinnvolle Alternative), taz vom 25. 8. 99

Wirklich dumm und überflüssig dieser Kommentar. Wann zahlen Siemens, Daimler usw. endlich Steuern? Wann hört der ungesetzliche staatliche Rentenklau endlich auf? Was ist mit der Vermögenssteuer? Kein Wort dazu von Frau Rogalla. [...] Marion Siegel, Alfred van Dalen, Kamp-Lintfort

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