: „Damit können wir sie fünf Jahre festnageln“
■ Auch Günter Verheugen musste sich fragen lassen, ob er sich das Amt des EU-Kommissars zutraue. Der Franzose Lamy, der heute geprüft wird, ist höchst umstritten
Wie er die Metamorphose vom deutschen Staatsminister im Auswärtigen Amt zum europäischen Kommissar für Osterweiterung zu bewältigen gedenke, wurde Günter Verheugen gestern im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments mehrfach gefragt. Einige Abgeordnete trauten ihm den Rollenwechsel offensichtlich nicht zu. Auch der grüne Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit wollte wissen, ob Verheugen sich vorstellen könne, im neuen Amt gelegentlich dem Rat Paroli zu bieten.
Die Antwort des Kandidaten verriet Humor: „Jeder Mensch entwickelt sich. Dafür sind Sie schließlich ein gutes Beispiel. Heute bin ich noch Mitglied der Bundesregierung. In Zukunft wird es für mich keinen Bundeskanzler mit Richtlinienkompetenz mehr geben – und das weiß der auch.“
Der CSU-Abgeordnete Ingo Friedrich wollte wissen, ob Verheugen als Kommissar seine Haltung zum Türkei-Beitritt überdenken werde. Zur Antwort wedelte der Befragte mit einem dicken Packen Papier. Das seien seine Äußerungen zum Thema Türkei-Beitritt aus den letzten drei Jahren. Sie seien unverändert gültig. Nur wenn die EU gesprächsbereit bleibe, könne in der Türkei der Wille zur Veränderung wachsen. Gerade das Erdbeben habe dort Kritik an der türkischen Zentralregierung gefördert und die Menschen näher zu Europa gerückt. Ohne Änderungen bei der Verfassung, im Strafvollzug und bei den Minderheitenrechten sei aber an Beitrittsverhandlungen nicht zu denken.
Die Länder, die sich ab 2002 der Europäischen Gemeinschaft anschließen wollen, warnte Verheugen: „Das süße Gift von Übergangsfristen darf nur in Maßen genossen werden.“ Mitglieder zweiter Klasse werde es nicht geben.
Fast die Hälfte des sechzigstündigen Befragungsmarathons haben die Abgeordneten hinter sich gebracht. Heute wird es noch einmal spannend, wenn Pascal Lamy an der Reihe ist. Der 52-jährige Franzose gilt als umstrittenster Kandidat im Team von Kommissionspräsident Romano Prodi. Als Kabinettschef von Santer-Vorgänger Jacques Delors soll er für falsch deklarierte Butterexporte verantwortlich sein, die für die ehemalige Sowjetunion bestimmt und in Polen gelandet waren.
Sollten die Parlamentarier auch Lamy als Teil des Prodi-Paketes akzeptieren, stellt sich die Frage, wozu die ganze Prozedur überhaupt gut ist. Daniel Cohn-Bendits Antwort darauf ist simpel, aber einleuchtend: „Alles, was die uns diese Woche versprechen, Akteneinsicht, Dialog mit dem Parlament, politische Kontrolle, das wird protokolliert. Da können wir die fünf Jahre lang drauf festnageln.“
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