: Atomstrom jetzt auch in Westberlin
Die Bewag gerät durch die Entscheidung des Bundeskartellamtes, den Strommarkt zu liberalisieren, unter Druck. Preise könnten um bis zu 30 Prozent sinken ■ Von Richard Rother
Nach der Entscheidung des Bundeskartellamtes, den Strommarkt zu liberalisieren, warnen Umweltorganisationen vor negativen Konsequenzen für Umwelt und Arbeitsmarkt. „Wer Billigstrom kauft, bezieht Atomstrom“, sagte gestern die Berliner Sprecherin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Carmen Schultze, der taz.
Durch den am Mittwoch verkündeten Entscheid, der die Bewag zu Durchleitung von Strom aus anderen Bundesländern verpflichtet, würde nun erstmals Atomstrom in das Westberliner Netz fließen. „Das ist paradox, weil wir doch bundesweit den Ausstieg aus der Kernenergie diskutieren.“ Die Billigangebote seien reine Dumpingpreise, mit denen die Unternehmen auf den Markt drängen wollten.
„Niemand weiß, wie die Preise sich entwickeln, wenn die erst einmal etabliert sind“, warnte Schultze. Die Verbraucherverbände gehen demgegenüber davon aus, dass die Strompreise um 20 bis 30 Prozent fallen könnten. Schultze sagte: „Wer Strom spart, kann auch Geld sparen.“
Der umweltpolitische Sprecher der Grünen, Hartwig Berger, nannte die Entscheidung „katastrophal“. Zwar schade Bewegung auf dem Markt nicht unbedingt, so Berger. Die Entscheidung des Bundeskartellamtes sei aber „ein schwerer Rückschlag für den Arbeitsmarkt und den Umweltschutz“. Berger forderte eine Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes auf Bundesebene. Alternative Formen der Energiegewinnung, die nicht so günstig wie abgeschriebene Atomkraftwerke produzieren könnten, müssten gesetzlich geschützt werden.
Auch in anderen politischen Lagern stößt die Entscheidung des Kartellamtes auf Skepsis. Die erzwungene Öffnung des Strommarktes mache es den Energieversorgern schwerer, den teuren Wind- oder Sonnenstrom zu verkaufen, kritisierte Eduard Heußen (SPD), Sprecher des Berliner Senats. Umweltsenator Peter Strieder (SPD) befürchtet, dass die Überkapazitäten der großen Stromproduzenten auf dem Berliner Markt abgeladen werden. Das werde Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsituation bei der Bewag haben.
Die Gewerkschaften fürchten ebenfalls einen weiteren Arbeitsplatzabbau bei der Bewag. Bisher will das Unternehmen bis zum Jahr 2002 rund 4.000 von insgesamt 8.500 Stellen streichen. Betriebsbedingte Kündigungen haben die Bewag und die Gewerkschaften in einer Betriebsvereinbarung jedoch ausgeschlossen.
Langfristig will sich die Bewag ohnehin von einem kommunalen Stromerzeugungsunternehmen zu einem Energiedienstleister entwickeln. Damit würde nicht mehr die Erzeugung von Strom – derzeit von relativ umweltfreundlichen Kraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) gewährleistet – im Vordergrund stehen, sondern der Einkauf und Weiterverkauf von Energie. Eine Konsequenz daraus ist die Stillegung einzelner Kraftwerke, die derzeit betriebsintern diskutiert wird.
Zum diesem Unternehmensprofil passt auch das neue dreistufige Tarifsystem der Bewag, das bereits im November eingeführt werden soll. Zukünftig kann jeder Verbraucher entscheiden, wie viel er für seinen Strom ausgeben will. Es wird einen Normaltarif für den Bewag-typischen KWK-Strom geben, einen grünen Tarif für Ökostrom und einen Billigtarif für Strom, der außerhalb Berlins eingekauft wird und Atomstrom enthalten kann.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hermann Borghorst, begrüßt dieses Konzept. „Neue Ideen sind immer gut.“ Die Bewag müsse auch mit Preissenkungen offensiv in den Markt gehen. Ob sich der Ökostrom allerdings durchsetzen könne, sei sehr fraglich. „Das sieht alles ein wenig nach Nischenmarkt aus“, meint Borghorst. Schließlich müssten die Leute sehr genau mit jeder Mark rechnen.
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