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Ornament und Eigensinn

Der Anti-Charme der Metropole: Im Berliner Kunstamt Kreuzberg wird die Geschichte der 80er-Jahre-Performance-Gruppe Die Tödliche Doris nacherzählt  ■   Von Harald Fricke

an kann den Wechsel vom simplen Plattenhören zur elaborierten DJ-Kultur auch an den verschiedenen Schallplattenspielergenerationen festmachen. In den siebziger Jahren galt der gerne in Nussbaumfarben gehaltene Dual 1234 wegen seiner automatischen Tonarmführung und der Endabschaltung als solides Produkt. Dagegen waren in den achtziger Jahren die Geräte von Sony der deutschen Konkurrenz weit überlegen: Durch den Direktantrieb konnte man die Plattenspieler per Knopfdruck starten und stoppen. Das Design war zumeist technisch silbern, die manuelle Funktionsweise der Geräte überhaupt ein Pendant der schwarzen Technics-Plattenspieler, mit denen heute die Discjockeys herumzaubern. Mehr noch, die verschiedenen Abspieltypen bilden auch wunderbare Allegorien zum Zeitgeist: Hier Komfort und Genuss des Hörers, der die Maschine für sich arbeiten lässt; dort der aktive Teilnehmer an der musikalischen Gestaltung.

In der Berliner Ausstellung der Performance-Gruppe Die Tödliche Doris drehen sich diese beiden Modelle nebeneinander in einer Vitrine unter Glas. Hören kann man bei der Installation „Unsichtbare Schallplatte“ nichts, weil die Verstärker und Boxen fehlen. Außerdem schwebt der Tonarm jeweils über der Einlaufrille. Auch darin liegt einiges an symbolischem Gewicht: Die linke und die rechte Platte, so erfährt man im Katalog, sind zur gleichen Zeit entstanden, das aufgenommene musikalische Material soll miteinander verschmelzen, wenn man es gemeinsam abspielt. Für den DJ wäre es nur eine Frage des Mixes und der Geschicklichkeit. Hier aber geht es um die Immaterialität von Kunst: Man sieht die Idee hinter der Inszenierung, aber das Ergebnis bekommt man nicht zu hören. Oder in der Sprache von Doris: „Die Informationen sind gegeben und verselbständigen sich. Ganz deutlich ist alles fertig, perfekt. Die scheinbare Weiterentwicklung besteht in der Perfektion und weiteren Durchplanung bis ins Detail.“ Im Idealfall schweigen auch mal die Maschinen.

Der Text stammt aus dem Beiheft zur Kassette „Der siebenköpfige Informator“, die 1980 im Eigenvertrieb erschien. Er ist so etwas wie ein Manifest der Tödlichen Doris, deren Mitglieder Wolfgang Müller, Käthe Kruse und Nikolaus Utermöhlen sich irgendwo zwischen Band, Künstlergruppe und anarchischem Geflecht einordneten. Als „geniale Dilettanten“ scheuchten sie das Publikum 1981 im Berliner Tempodrom mit dem Slogan „Der Krieg der Basen ist ständig im Kopf“ auf, während sie als griechische Mythenfiguren über die Bühne tanzten; unter Hausbesetzern war wiederum ihr situationistisches Spiel mit Klischees vom Kreuzberger Underground sehr populär – für ihr „Naturkatastrophenballett“, eine Fernsehproduktion des WDR, verbrannten sie 1983 ihre Mikrofone dekorativ in Nähe der Mauer. Soweit der Anti-Charme der Metropole.

Das Instrumentarium dieser Performance ist in einem Schrank untergebracht, dessen grauer Anstrich den Bogen zu entsprechenden Objekten bei Joseph Beuys schlägt. Überhaupt merkt man in der Ausstellung die Verwandtschaft von Doris zu Fluxus, Marcel Duchamp oder Readymade an. Hier eine Auslage mit Flyern und Einladungskarten, dort eine Ecke mit bestickten Batikkissen, und im letzten Raum wurde ein „Büro“ eingerichtet, wo man sich durch ein Dutzend Tapes hören kann – das Ergebnis der immateriellen „fünften“ LP inklusive.

Während aber die früheren Kunstbewegungen heute als Beleg für die Freiheit dienen, mit dem Alltag zu spielen, werden in Berlin die Dinge nicht als Ikonen einer erfolgreich bewältigten Historie vorgeführt. Vielleicht liegt es an der Organisation des Materials, die nicht auf Überwältigung abzielt, sondern fein entlang der zehn Jahre währenden Gruppenaktivität bis zur Auflösung 1989 mäandert.

Zugleich ist die Form der Ausstellung auch Gegenstand der künstlerischen Produktion: Die Objekte der Tödlichen Doris sind zwar für den Markt bestimmt, aber immer auch als ironischer Kommentar auf den Fetischcharakter des Betriebs gemeint. Statt warenförmig die Performances im Nachhinein aufzuwerten, sind die Utensilien ständige Begleiter der Band geblieben. Ornament und Eigensinn. Versprengte Pfauenfedern, die die Band bei einem Auftritt 1985 getragen hatte, finden sich 1999 umgetopft in einem goldenen Behälter wieder. Umgekehrt sind die Handschuhe, die auf den „Drifting Glove“-Fotos von 1985 in einem Swimmingpool schwammen, mittlerweile auf Puppengröße eingeschrumpft. Der 1996 an den Folgen von Aids verstorbene Nikolaus Utermöhlen hatte sie versehentlich in der Waschmaschine gekocht.

Andere Gegenstände haben sich indessen rar gemacht. 1985 wurden 180 Bücher mit dem Aufkleber „Die Gesamtheit allen Lebens und alles Darüberhinausgehende“ als Multiple versehen, von denen nur noch das Exemplar einer Analyse der Politik Stalins übrig geblieben ist. Der beigefügte Filmstreifen mit abstrakten Grafiken wird in einer abgetrennten Nische auf Trockeneisnebel projiziert – auch die Retrospektive ist bloß eine flüchtige Angelegenheit. Stets scheint sich das Motto der Gruppe aus diesem Gedanken abzuleiten.

Als die drei Doris-Miglieder 1983 zu einem NDR-Videofestival nach Hamburg eingeladen wurden, funktionierten sie das hübsch aufgereihte Live-Programm einfach um und luden das Publikum ein, ihren Hit „Unser Debüt“ mitzusingen. Plötzlich schwappte ein absurder Chor aus dem Fernseher: „Wir sind zum ersten Mal im Fernsehen“. In Zeiten von ewigen Talkshows und Veras Mittagsplausch mit gewöhnlichen Sex-Exoten wirkt der Triumph der Masse im Medium wie ein avantgardistischer Vorbote des heutigen Lebensweltmülls.

Der wohl geförderte Kulturbetrieb der Stadt kann mit solchem Aktionismus auch Ende der neunziger Jahre nicht allzu viel anfangen. Während Doris im New Yorker Museum of Modern Art gastierte, reichte es in Berlin gerade mal für selbst organisierte Aktionen im besetzten Front-Kino in SO 36. Und auch zehn Jahre nach dem Ende von Doris hatte nur das Kunstamt Kreuzberg Interesse an der Retrospektive, die übrigen Institutionen lehnten vornehm ab. Dabei wäre schon allein das auf hundert Bögen aufgeklebte Foto-Dokumentar-Archiv aus den achtziger Jahren in einem größeren Rahmen besser aufgehoben gewesen. Immerhin erkennt man in den zahllosen Fundfotos, die von Müller und Utermöhlen mit Bildunterschriften versehen wurden, den Humor vergangener Tage wieder. „Diese Fotografie eines Türscharniers war ursprünglich keine Fotografie eines Türscharniers. (Man sieht das am linken Rand)“ steht unter einem Foto, dessen Ränder so beschnitten wurden, dass man wirklich nur mehr ein Türscharnier sieht. Mit der Geschichte der Tödlichen Doris ist es ähnlich. Man erkennt sie an den Rändern. Um die Mitte geht es nicht. Das waren die achtziger Jahre.

Bis 17. 10. Kunstamt Kreuzberg, Berlin. Der Katalog ist im Martin Schmitz Verlag erschienen, 128 S., 48 DM.

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