: Polen – die ungeliebte Badewanne der Berliner
■ Die Hauptstadt ist auf dem Weg, ihr Verhältnis zum östlichen Nachbarn zu normalisieren
Es war der erste Kriegstag. Kampfflugzeuge überflogen die Reichshauptstadt Berlin. Jeder konnte es hören. Sie waren auf dem Weg, Bomben auf das Nachbarland zu werfen. Raum im Osten gewinnen, das war das Ziel des deutschen Überfalls auf Polen.
60 Jahre später. Berlin liegt an der Grenze. Fast zumindest. Bis zum östlichen Nachbarn sind es 80 Kilometer. Das Verhältnis hat sich zumindest beim Reiseverkehr scheinbar normalisiert. Zwar sind 1998 51 Millionen Deutsche nach Polen gereist. Doch waren davon 44 Millionen Tagesgäste. Nur weniger als eine Million Touristen blieben überhaupt länger als sechs Tage. Und zudem – die Zahl der richtigen Urlauber stagniert.
Jacek Barelkoski schreibt eine Doktorarbeit über den deutsch-polnischen Tourismus und führt in Berlin ein Reisebüro: „Die große Masse fährt nur nach Polen, um auf den grenznahen Märkten billig einzukaufen.“ Die wenigsten Berliner buchten Reisen nach Pommern oder Masuren. Krakau laufe nur bei den jungen Leuten gut. Nur Warschau gilt noch als Anziehungspunkt. Die polnische Hauptstadt, mit der Berlin eine „leidlich gut funktionierende“ Städtepartnerschaft verbindet, steht bei den deutschen Polenurlaubern insgesamt an erster Stelle.
Kaum ein Berliner hingegen kennt die Namen der Dörfer jenseits der Oder oder sucht die nahe polnische Ostseeküste auf. Barelkoski kann dem auch etwas Gutes abgewinnen: „Der sogenannte Heimwehtourismus der früheren Jahre in die ehemaligen deutschen Ostgebiete ist auf 2,5 Prozent zurückgegangen.“
Auch andere traditionelle Reiseziele haben an Bedeutung verloren. Der Bezirksrat für Jugend und Sport des Berliner Stadtteils Pankow, Alex Lubawinksi, erinnert sich: „Früher war Kolobrzeg oder Kollberg an der Ostsee die Badewanne von Berlin.“ Pankow ging mit dem traditionellen Kurort vor neun Jahren eine Städtepartnerschaft ein – eine von acht Berlin-polnischen Partnerschaften. Bei einigen existiert diese Partnerschaft jedoch nur auf dem Papier. Nicht für die Pankower: Lubawinski berichtet von intensiven Kontakten, nennt Chorfahrten, wechselseitige Ausstellungen oder den Schüleraustausch.
Das Leid, dass den Polen durch den Zweiten Weltkrieg widerfahren ist, meint Lubawinski, spiele in den alltäglichen Beziehungen jedoch keine Rolle mehr. „Die mittlere und junge Generation hat diese Zeit nicht mehr erlebt“, sagt er. Stattdessen helfen die Pankower den Kolobrzegern jetzt beim Aufbau einer modernen Verwaltung: „Bis vor zehn Jahren hatten wir ähnliche sozialistische Verwaltungen. Wir können wir uns gut in die Mentalität hineindenken.“ Außerdem habe man der polnischen Arbeiterbewegung Solidarnosc zu verdanken, dass die Friedensbewegung in der DDR erfolgreich sein konnte: „Wir schulden denen etwas.“
Diese Einstellung teilt der Großteil der Deutschen nicht. Die Vorbehalte gegenüber den Nachbarn sind groß, glaubt Markus Mildenberger von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin: „Weder auf der normalen menschlichen Ebene sind die Beziehungen sehr gut noch auf der offiziellen, politischen.“ Im Gegenteil: „Die Deutschen pflegen ihre Vorurteile. Die Angst vor Kriminaltiät ist weit höher als die tatsächliche Rate.“ Gerade in den grenznahen neuen Bundesländern und Berlin bestünde eine erhebliche Sorge, dass polnische Arbeitskräfte mit Billiglöhnen den deutschen Arbeitsmarkt kaputtmachten. „Doch das stimmt nicht. In Polen entwickelt sich der Arbeitsmarkt im Gegensatz zu Deutschland gut“, erklärt Mildenberger. Mittlerweile wisse jeder junge Pole, dass es in seiner Heimat viel leichter sei, Karriere zu machen, als in Deutschland. „Die jungen Leute wollen gar nicht mehr nach Deutschland.“ Dennoch sei das Interessen der Polen an den Deutschen größer als umgekehrt. Das ist keine Liebe: Laut Mildenberger bewundern die Polen die Deutschen vor allem wegen ihrer wirtschaftlichen Erfolge.
Auf der politischen Ebene stellen Politologen seit dem Machtwechsel im Herbst dagegen eine Verschlechterung der Beziehungen fest. Die Polen beobachteten das selbstbewusste Auftreten der Berliner Republik mit gewissem Argwohn. Besonders kritisch sieht der Chefredakteur der polnisch-deutschen Zeitung Dialog, Basil Kerski, die Arbeit des Kanzleramtes. Kerski: „In den vergangenen zehn Jahren hat sich viel Gutes entwickelt. Neuerdings aber stehen der gegenseitige Politiktourismus und die Förderung praktischer Projekte in einem krassem Widerspruch zueinander.“ Beispiel: Das Deutsch-Polnische Jugendwerk dümpele auf dem finanziellen Niveau des deutsch-französischen Pendants vor dreißig Jahren vor sich hin. Kerski: „Das sagt doch alles. Nach wie vor dominiert die Westorientierung in der Politik.“ Annette Rollmann
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