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LidokinoFilmfamilie im Kommen

■ Ungefährliche Liebschaften: Venedig-Tagträume mit Stanley Kubrick und J. M.

Die Ölgemälde in Dr. William „Bill“ Harfords Park-Avenue-Wohnung stammen von Christiane Kubrick, geborene Harlan. Ihr Onkel war der berühmt-berüchtigte Regisseur des „Jud Süß“, Veit Harlan, ihre Tante Kristina Söderbaum, einst als Reichswasserleiche bekannt, weil sie in ihrem Filmen so oft den nassen Tod suchen musste.

Nun wimmelt es also im Produktionsstab von Kubricks letztem Film nur noch so von Harlans (außer Christiane auch Jan, Dominic und Manuel). Geht es in „Eyes Wide Shut“ um family values auch in einem weiteren Sinn von production values à la Banderas/Griffith? Oder ist hier eine große deutsche Filmfamilie wieder im Kommen?

Um aber doch noch einmal über den Film zu sprechen, der – obwohl er zwei Stunden vierzig Minuten lang ist – wie im Flug vergeht: Es ist ein schöner Film von gediegener Pracht, elegant, sehr langsam und tatsächlich mit großartiger Perfektion in Szene gesetzt. (Daran ändern auch das verschrobene Bild des heutigen New York und andere Fehler, die die Kritik jetzt auflistet, nichts.)

Am Ende freilich hat man das ungute Gefühl, dass man die falsche Geschichte erzählt bekam. Denn der Weg aus der Ehe in die Welt seiner sexuellen Begierden, den Bill Harford nach dem überraschenden Geständnis seiner Frau Alice über einen fantasierten Ehebruch geht, erweist sich als ziemlich banale Tour d'horizon mit käuflichen Frauen und einem Bacchanal als Höhepunkt, das leider ganz so aussieht, als könnte man es nachher als Geschäftsessen von der Steuer absetzen.

Vielleicht ist auch Alice Harfords Tagtraum über einen Marineoffizier, dessen Anblick ihr den großen erotischen Kick gibt, nicht wirklich gefährlich. Schließlich geht eine Frau heute nicht unerfahren in die Ehe und weiß eine solche Begegnung einzuordnen. Aber ihre Fantasie berührt doch entscheidende Punkte des Begehrens: die Freiheit, die einem plötzlich zuwächst, aufzubrechen, die Zelte abzubrechen, Wunden zu schlagen, alte Loyalitäten in den Wind zu schießen.

Sie berührt sogar das Risiko einer möglichen Liebe – und so passiert es, dass man mitten im Film denkt, warum wird uns ihre Traumgeschichte vorenthalten, die recht unerhebliche ihres Mannes aber groß ausgebreitet? Geht es hier doch um ein Begehren, das auf Kundenseite von vorn herein mit klaren Deals und harter Münze gegen die Risiken von Alices Fantasie, gegen die Frage nach Wahrheit und Lüge der Liebe gar, abgesichert ist?!

Was übrigens die Tele+-Tasche angeht, so scheint sie an manchen Menschen zu wachsen. Oder an den Aufgaben – wie zum Beispiel fette Camcorder zu beherbergen, samt enormen Wasserflaschen und drumrum gerolltes Pressematerial. Erstaunlich.

Inzwischen ist sogar ein „Being John Malkovich“-Pressetäschchen aufgetaucht; für die ganz unentbehrlichen Dinge, für die Basics wie Kugelschreiber, Kleingeld und anderen Klunker. Absolut listenverdächtig!

Löblicherweise kann Spike Jonzes „Being John Malkovich“ dann doch zeigen, das wir in Sachen Sexualität gewisse Fortschritte gemacht haben; nicht in der eigentlichen körperlichen Technik, klar, aber sehr wohl in unsren Träumen. Dass es geil sein könnte, John Malkovich zu vögeln, ist schon mal keine schlechte Grundannahme, dass es aber noch geiler sein könnte, Lotte oder Craig Schwartz zusammen mit oder besser in J. M. zu vögeln, macht die Angelegenheit etwas komplexer. Und die Ehekrise auch hier unvermeidlich.

Dass eine kleine Hintertür im siebeneinhalbten Stock eines dubiosen Bürohochhauses, durch die man in einen verdächtig schlammigen, dunklen und engen Tunnel kommt, Zutritt zu John Malkovich verschafft, macht sie vollends fantastisch. Zu guter Letzt kriecht J. M. selbst durch die Tür, um J. M. zu werden. Muss man gesehen haben.

Brigitte Werneburg

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