piwik no script img

Wilde Veitstänze und eminentes Übergewicht

■ Die Amateure des HSV trennten sich von denen des FC St. Pauli 1:1. So spannend wie das Spiel war das Gebaren der HSV-Hooligans. Beobachtungen aus der Gästekurve

Halbzeit war am Millerntor, als eine Handvoll Fotografen, die sich die Sonne ins Gesicht scheinen ließ, in Aktionismus verfiel: Plötzlich füllte sich die mit etwa 100 HSV-Anhängern spärlich besetzte Gästekurve unter lautem Jubel: 70 Fans der Rothosen, davon gut ein Drittel der Kategorie „gewaltbereit“ – vulgo „Hooligan“ – zuzuordnen, wollte den verhassten Lokalrivalen nicht auch noch durch Eintrittsgelder sanieren. Und nutzte den Umstand, dass die zweite Halbzeit kostenlos ist.

Unter Anspielung auf die mittlerweile geschlossene Stammkneipe der St. Pauli-Gegengeraden-Fans, „Zum letzten Pfennig“, wurde die Motivation der Schwarzseher via Transparent transparent: „Unseren letzten Pfennig bekommt Ihr nie“. Wäre diese Aktion noch mit etwas gutem Willen als originell zu bezeichnen gewesen, gab es danach Einblicke in den Bewusstseinszustand einer Spezies, die zu karikieren unnötig ist. Eine Wiedergabe der beobachtbaren Realität tut–s auch:

Der Hooligan hält sich für eminent wichtig: Deshalb vollführt er wilde Veitstänze und rudert unkontrolliert mit den Armen, was durch halblautes „Kommochheraller“-Rufen in Richtung nicht zu erkennender Adressaten akzentuiert wird. Daß diese Laute in einem mit 2.500 Zuschauern gefüllten Stadion 100 Meter weiter nicht zu hören sind, weiß der Hooligan wohl auch. Deshalb zündete er am Sonnabend zweimal schwarze Rauchbomben, um auf sich aufmerksam zu machen. Dass sich das Gros der HSV-Fans die Schals vor Mund und Nase presste, war wohl Sinn der Sache: Solche Bilder erinnern den Hooligan an verruchte Straßenkämpfer. Und die kennt er von seiner Lieblings-Sendung „RTL-Explosiv“.

Der Hooligan hat ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität. Wohl deshalb ist seine „Sprache“ durch und durch sexistisch: Wer den gegnerischen Fans permanent diverse Varianten sexueller Handlungen mit Tieren unterstellt und „schwul“ für ein Schimpfwort hält, beherbergt wohl allerlei ungesunde Phantasien im atrophierten Hirn. Bezeichnend: Als besonders originell (“Ihr seid alle schwul und habt AIDS“) erwies sich ein etwa 16-jähriger von Akne und eminentem Übergewicht gebeutelter Nachwuchs-Hool. Womit der Beweis erbracht wäre, daß exzessiver Pornokonsum der gesunden Persönlichkeits-Entwicklung abträglich ist. Doch immerhin bekommt man vom Porno-Gucken kein AIDS.

Der Hooligan mag all das überhaupt nicht, was er in Tostedt noch nie gesehen hat: Neben AIDS-Viren und Homosexuellen gehören dazu auch selbstbewusste Frauen: Die wenigen Frauen, die ihre starken Freunde begleiteten, ließen jedenfalls ernsthafte Zweifel am Erfolg der Frauenbewegung aufkommen. Auch nicht-arische Menschen lehnt der Hool ab. Es sei denn, sie heißen Tony Yeboah und schiessen den HSV an die Tabellenspitze.

Der Hooligan an sich existiert nicht. Wenn er mit sich alleine beschäftigt ist, schaut er entweder Pornos oder sitzt mit unsicherem Blick auf dem Barhocker seiner Stammkneipe. Nur in der Gruppe wird der Hool laut, peinlich und aggressiv. Merke: Der Hool tritt als solcher nur in Rudeln auf. Montags arbeitet er in der Bank.

Christoph Ruf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen