piwik no script img

Deutsches Ökobewusstsein  ■   Von Marja Verburg

Meine Mitbewohnerinnen heißen Susanne und Nicola. Sie sind Deutsche, beide 23 Jahre alt und studieren Architektur, Kunst und Deutsche Literatur. Sie backen und essen gerne Kuchen. Ich wohne in einer WG, in der die Kuchenkultur sehr wichtig ist. Ob man eine Prüfung bestanden hat, ein Freund Schluss gemacht hat oder ob einfach nur Wochenende ist: Ohne Kuchen ist Deutschland scheinbar nur halb so toll oder traurig. Damit habe ich gar keine Probleme.

Es sind andere Dinge, an die ich mich gewöhnen muss. Vor allem an die von Nicola: Sie eine Repräsentantin des deutschen Ökobewusstseins. Am Anfang dachte ich noch, dass das nur bedeutete, dass sie vegetarisch isst. Ich aß mit von der Möhrensuppe und der Grünkohlplatte, denn ich mache nicht gern Schwierigkeiten. Den Geruch ihrer Kräuterzigaretten vertrieb ich mit meinen eigenen Gauloises.

Wirklich merkwürdig fand ich es erst, als wir an einem Samstagabend ausgehen wollten. Als Einzige in ganz Berlin hatten Nicola und ich den Film „Lola rennt“ noch nicht gesehen, also blätterte Nicola in der Zeitung. „Der läuft nur noch irgendwo in Kreuzberg“, sagte sie. Bis wir da wären, würde es eine Dreiviertelstunde dauern, und dann hätte der Film längst angefangen. „Aber“, fing ich an (wie naiv!), „der läuft doch auch im Cinemaxx am Potsdamer Platz?“ Nicola schaute mich erstaunt an. „Willst du ins Cinemaxx gehen?“ – „Ja, warum nicht? Das ist doch auch ein Kino?“

Oh nein, nein, das stimmt gar nicht! Kurz zusammengefasst: Cinemaxx ist ein auf Amerika orientierter Betrieb, wo alles viel zu massenhaft ist, wo die Atmosphäre unsympathisch ist, wo die falschen Leute viel Geld verdienen, und der eine unehrliche Konkurrenz ist für witzige, kleine Kinos, so wie das in Kreuzberg.

„Na ja, du gehst doch auch zu McDonald's“, erwiderte ich. Falsch! Nein, natürlich ging sie nicht zu McDonald's, da werden auch die falschen Leute reich und die richtigen ausgebeutet, und die sehen auch überall gleich aus, amerikanisches Junkzeug, und außerdem gibt es da nur Fleisch, also hat sie da gar nichts zu suchen.

Ins Kino gingen wir nicht mehr an diesem Abend. Etwas verdutzt dachte ich über mein eigenes, prinzipienloses Leben nach. Und plötzlich erinnerte ich mich daran, was mir vor drei Jahren hier passierte. Ich hatte bei zwei deutschen Mädchen in Berlin vegetarisch gegessen, wir redeten über Rinderwahn. Eines von ihnen sah darin ihre Lebensüberzeugung bestätigt: Wir wurden alle vergiftet von der Konsumindustrie, sie esse nicht ohne Grund schon jahrelang kein Fleisch mehr, und wenn sie einen Garten hätte, würde sie nur noch eigenes Gemüse essen, denn der Salat, den wir im Laden kauften, sei auch vergiftet. Nur das Wort Komplott nannte sie nicht.

Nach dieser Rede rauchte sie zufrieden eine Zigarette. Dass ich dann anfing zu lachen, verstand sie nicht. „Wenn du so gesund lebst, kannst du ruhig rauchen, denn Krebs wirst du dann nicht kriegen.“ Das fand sie nicht so witzig.

Humor hat Nicola glücklicherweise schon. Aber viel ins Kino werden wir zusammen nicht gehen. Ist auch nicht schlimm. Nächste Woche kriege ich wieder Besuch von meinen prinzipienlosen holländischen Freunden, und mit denen gehe ich in „Lola rennt“. Im Cinemaxx am Potsdamer Platz.

intershop erscheint in Zusammenarbeit mit dem Sender SFB 4/Radio MultiKulti

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen