: Als die Erde in Lainya schwarz wurde
Alles deutet darauf hin, dass Sudans Regierung Ende Juli tatsächlich Chemiewaffen gegen Dörfer im Südsudan eingesetzt hat. Jetzt leben die betroffenen Menschen in Angst. Denn Gewissheit gibt ihnen niemand ■ Aus Lainya Peter Böhm
Lainya macht einen vernachlässigten, trostlosen Eindruck. Im Grunde ist der Ort nur eine Kreuzung an der löchrigen Piste zwischen Yei, der „Hauptstadt“ der von der Sudanesischen Befreiungsarmee (SPLA) kontrollierten Gebiete, und Juba, der von der Regierung kontrollierten größten Stadt des Südsudan. Ansonsten gibt es in Lainya eine aus Schilf gebaute kleine Garnison der SPLA, einen ausgestorbenen Markt mit zehn Ständen sowie einige verstreute „Tukuls“ – jene grasgedeckte und aus Ästen errichteten Hütten, die typisch für den Südsudan sind.
Dazwischen wuchert die wegen der Regenzeit üppige Vegetation, die, würde sie nicht gestoppt, wohl innerhalb weniger Monate die Siedlung in den Busch zurückverwandeln würde. Das einzige Ziegelsteingebäude, das den Krieg überstanden hat, ist eine Kirche, deren Fenster geborsten sind.
Im Zentrum von Lainya finden sich acht Bombenkrater. Sie sind mehr oder weniger konzentrisch in einem Kreis von rund 200 Metern Durchmesser um das mit Kugeln durchsiebte Hinweisschild „Meridi 180 km“ positioniert. Trotz des Regens der vergangenen Wochen lässt sich in einem Krater noch die später von Ärzten beschriebene schwarze Farbe des Bodens und die Rotfärbung des Wassers feststellen. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die sudanesische Regierung in dieser Ortschaft, wie von den Rebellen und einer Hilfsorganisation behauptet, chemische Waffen eingesetzt hat.
Am Mittwoch, dem 21. Juli, ging Margaret Samuel in Lainya ihre Schwester besuchen, die zwei Tage vorher ein Baby bekommen hatte. Um die Mittagszeit, so erzählt sie, hörten die beiden Frauen ein Flugzeug. Lainya wurde schon oft bombardiert, und die beiden wussten daher, was das Geräusch bedeutet: eine Antonow, das Transportflugzeug russischer Bauart der Regierungsarmee, das auf über 6.000 Metern Höhe fliegt, um nicht von der Luftabwehr der Rebellen getroffen zu werden.
Da die Schwester neben ihren Tukuls keinen Bunker gegraben hat, gingen die Frauen 30 Meter über die Straße zu den Hütten der Nachbarsfamilie. „Die Antonow kreiste sechsmal über Lainya, so zirka eine Stunde lang“, erinnert sich Samuel, die in der Küche der Hilfsorganisation NPA (Norwegian People's Aid) arbeitet. Als das Flugzeug seine Bombenlast abwarf, kauerten rund ein Dutzend Menschen in dem Bunker, einem eineinhalb Meter tiefen Loch.
Da die Antonows so hoch fliegen, dauert es vom Bombenabwurf bis zur Detonation drei bis vier Minuten. „Das Geräusch der fliegenden Bomben,“ sagt Samuel, „ist wie das Heulen des Windes.“
Erst ein Brennen im Mund. Dann starben die Tiere
Eine Bombe schlug an der Straße ein, eine zweite unmittelbar neben einem der Tukuls der Schwester. Die Sprengkraft der Bomben muss sehr schwach gewesen sein, denn das Geschoss hat die Hütte völlig unversehrt gelassen.
Bombensplitter lassen sich im Umkreis der Krater keine finden. Dafür gab es etwas anderes, erzählt Margaret Samuel: „Aus den Kratern stieg schwarzer, dichter Qualm, wie wenn man Autoreifen verbrennt.“ Als die 29-Jährige aus ihrem Loch stieg, musste sie erbrechen – „dickflüssige Spucke und Wasser“.
Dies allein wäre noch kein Anlass zur Besorgnis. „Wahrscheinlich hat sie umherfliegende Erde verschluckt, oder es war schlicht der Schock, dass die Bomben so nah einschlugen“, erklärt Dr. Morris Timothy Ama, ein Arzt der deutschen Hilfsorganisation Malteser, der neun Tage nach diesem Angriff an einer Untersuchung in Lainya teilnahm.
Aber unmittelbar nach der Explosion empfand Margaret Samuel ein Brennen in Nase, Mund und Rachen, und sie bekam trockenen Husten. Ihre Schwester, die vor zwei Tagen entbunden hatte, verlor für acht Stunden das Bewusstsein. Am Folgetag starben die Tiere der Familie, bei der Samuel Schutz gesucht hatte: drei Hühner und eine Ziege.
In dem Bericht eines Ärzteteams der deutschen Malteser und der einheimischen Sudan Medical Care (SMC), der sich auf die Untersuchung von 32 Betroffenen neun Tage nach dem Angriff bezieht, werden folgende Symptome beschrieben: „Husten und Brustkorbschmerzen, Erbrechen und Durchfall, Unterleibsschmerzen, Kopfweh, Ohrenschmerzen, Fieber, Schwäche- und Schwindelgefühl. Nach drei Tagen gehen Erbrechen und Durchfall zurück. Husten und der Druck auf den Brustkorb sind die am längsten anhaltenden Symptome.“
In der Nacht des 22. und 23. Juli fielen weitere Bomben auf Lainya, einige außerdem auf Kaaya an der ugandischen Grenze. Laut Mitarbeitern der Hilfsorganisation NPA, deren Unterkunft rund zwei Kilometer von der Abwurfstelle liegt, schlugen außerdem in der Nacht des 5. August zwei Bomben in Loka ein, 15 Kilometer südlich von Lainya. Ein Krater in Loka weist ähnliche Charakteristika wie jene in Lainya auf.
Wegen der ständigen Gefahr durch Luftangriffe leben die meisten Familien von Lainya ein paar Kilometer von der Piste entfernt im Busch, sagt der Krankenpfleger des Ortes, Bakata Lasu Lemi. Nach den jüngsten Bombardierung seien dann die meisten der noch verbliebenen Bewohner geflohen. Nun sind dort noch Lemi, einige Angestellte der Verwaltung und die SPLA-Soldaten mit ihren Familien übrig.
Am 11. August, exakt drei Wochen nach dem ersten Bombardement, starb der Verwaltungsangestellte Onesmus Putto Andrew. Er war Mitte Vierzig und einer derjenigen, die nach den Bomben von den geschilderten Symptomen betroffen war. „Am Morgen kam er zu mir“, berichtet Lemi, „und sagte, ich fahre nach Lukurband“, ein paar Kilometer von Lainya entfernt. „Seine zwei Brüder, die ihn auf dem Weg trafen, sagen, dass er, als er sich mit ihnen unterhalten hat, zu zittern anfing, und dann unvermittelt vom Fahrrad fiel. Als ich rund eine Viertelstunde später dorthin kam, versuchte ich ihn wiederzubeleben, aber es war schon zu spät.“
Bis heute trinken die Menschen das Wasser in Lainya, bringen ihre landwirtschaftlichen Produkte auf den Markt und essen sie. „Wir wollten erst einmal keine Panik verursachen“, sagt ein SPLA-Funktionär in Yei dazu, der nicht namentlich genannt werden will. Viele Menschen, die ursprünglich in dieser Region lebten, warten noch in Flüchtlingslagern im Kongo und Uganda ab.
Und so schwankt die Stimmung der Menschen in der Region zwischen irrationaler Furcht und schlichter Unwissenheit. „Nachdem ich Leute mit Schutzanzügen und Gasmasken an den Kratern gesehen habe“, erinnert sich Margaret Samuel, „dachte ich: Oje, dieses Zeug muss ja wirklich gefährlich sein.“ Sie ist im fünften Monat schwanger. „Jetzt mache ich mir wirklich Sorgen, ob mein Kind gesund geboren wird.“
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