: Realität verschieben
Kollektiv dagegen – dabei: Kunst als soziale Praxis in der Hamburger „Akademie Isotrop“ ■ Von Ulrike Bals
In der Luft zittern elektronische Bässe. Zigarettenqualm zieht graue Fäden im Licht. Mit angezogenen Schultern zwängen sich die Besucher in den engen Raum mit der weiß getünchten Holzvertäfelung. Das fensterlose Séparée im Hamburger „Pudel's Club“ lockt mit inoffizieller Kunst. Unprätentiös an die Wände getackert, hängen dicht an dicht bizarre Skizzen, Fotografien und Collagen.
„Galerie Nomaden Oase“ heißt die winzige Keimzelle, aus der das Künstlerkollektiv „Akademie Iso-trop“ hervorgegangen ist. Seit dem befinden sich die etwa 20 Künstler verschiedenster Disziplinen, wie Theater, bildende Kunst, Musik und Literatur, tatsächlich auf einer Art Wanderschaft. Denn anders als herkömmliche Ausbildungsstätten ist ihre Akademie ein reines Gedankengebäude. Produziert und diskutiert wird in den Räumen, die gerade zu Verfügung stehen – mal eine Wohnung, mal das Atelier eines Freundes, mal eine Kneipe. Die Ergebnisse werden alle zwei Wochen bei einer Werkschau in der Miniaturgalerie im Pudels, dem Herzstück der Akademie, präsentiert. Nicht nur um ein permanentes Spannungsfeld zur Öffentlichkeit zu halten, sondern auch zur Dokumentation des gemeinschaftlichen Projektes.
Begleitend zur Vernissage gibt es jeweils ein entsprechendes Rahmenprogramm mit DJs, Filmvorführungen oder gastierenden Bands. Dass Ausstellen, Musik auflegen, Spass haben und Feiern zusammengehören, ist für sie selbstverständlich. Die unmittelbare Nähe zur Clubkultur soll aber auch der Kunstbetrachtung ihre weihevolle Distanz nehmen.
Längst hat die produktive Off-Künstlergruppe das Interesse der überregionalen Kunstszene geweckt. Neben städtischen Kultureinrichtungen sind es inzwischen vor allem kommerzielle Galerien, die auf die unothodoxen Newcomer setzen.
So folgten der Ausstellung bei Contemporary Fine Arts 1998 in Berlin in diesem Jahr bereits die Galerie Daniel Buchholz in Köln, Hoffmann & Senn in Wien und Cubitt Galery in London. Und mit der Ausstellungsperformance „Revolution, Evolution, Exekution“ ist die Akademie Isotrop derzeit umfangreich bei der „Gesellschaft für aktuelle Kunst“ in Bremen vertreten. Ein Gesamtkunstwerk, bei dem die einzelnen Objekte zueinander sich in räumlichen Bezug gesetzt finden. Zur Finissage am 12. September präsentiert Isotrop die vierte Ausgabe ihrer dadaistisch inspirierten Kunst-Zeitschrift.
Konform mit dem gängigen Kunstbetrieb sind Isotrop deswegen noch lange nicht. „Wir wollen die Realität nach und nach verschieben“, erklärt Roberto Ohrt, promovierter Kunsthistoriker und „Professor“ der Akademie. Die Absicht äußert sich in der Struktur der Organisation. Formal zwar eine Akademie, besetzen Isotrop jedoch die Begrifflichkeiten der staatlichen Hochschulen mit neuem Inhalten. Jede Form von Hierarchie lehnen sie ab. Ein Professor ist ein Professor, ist kein Professor – denn es fehlt ihm an den charakteristischen Insignien der Macht. Die Akademie definiert sich weniger als Institution, denn als gesellschaftlichen Entwurf praktischen Handelns.
So wird etwa die namentliche Hervorhebung Einzelner vermieden. „In der Kunst werden heute häufig Charaktere gehandelt und Einzelfiguren konstruiert“, kritisiert Ohrt. Das führe jedoch zu Vereinzelung, Verdinglichung und letztlich zu Fetischismus. Das Aufgeben der Autorenschaft bedeutet jedoch nicht die Entwicklung eines isotropen Einheits-Stils. Individuelle Handschriften bleiben nach wie vor erhalten. Die Kollektivität besteht vielmehr im gegenseitigen Austausch und in einem Verständnis von Kunst als sozialem Prozess.
Entsprechend wird die Aufnahme eines neuen Mitglieds auch nicht von dessen Können abhängig gemacht, sondern von der Funktion, um die der Bewerber die Architektur des Kollektivs erweitert. Was jemand einbringt, wird zum Ausgangspunkt. Wo es eine Position gibt, ist so auch immer eine Gegenposition möglich. Nichts ist fertig: Künstlerische Produktion wird zum fortwährenden Prozess, in den die gerade Dozierenden ihr Wissen einbringen, ohne jedoch zu steuern. Überprüfung durch Praxis, lautet das kollektive Credo – und das mit offensichtlichem Erfolg.
„Revolution, Evolution, Exekution“, bis 12. September, Gesellschaft für aktuelle Kunst, Bremen, Teerhof 21. Infos: 0421/ 500897
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen