: In der Reißwolf-Affäre soll der Falsche gehen
Der Vizechef des Berliner Verfassungsschutzes soll strafversetzt werden. Grüne fordern Rehabilitierung ■ Von Dorothee Winden
Der Berliner Verfassungsschutzchef Eduard Vermander gerät durch die „Reißwolf-Affäre“ immer stärker unter Druck. Die Grünen forderten gestern den Rücktritt des Behördenchefs, der für mehrere schwere Pannen des Amtes die Verantwortung trägt.
Vermander hatte im Mai einen Aktenvermerk geschreddert, aus dem sich ableiten lässt, dass Innensenator Eckart Werthebach (CDU) die politische Verantwortung für den mangelnden Schutz des israelischen Generalkonsulats trägt. Im Februar waren vier Kurden bei der versuchten Besetzung des Konsulats erschossen worden.
In dem Vermerk hatte Vermander sein Gespräch mit dem Chef des Bundesverfassungsschutzes über die Verhaftung von PKK-Chef Öcalan festgehalten. In dem Gespräch sei keine Rangfolge der gefährdeten Objekte festgelegt worden, schrieb Vermander in die Akten. Dieser Vermerk widerspricht Werthebachs Verteidigungslinie, wonach das Konsulat so wenig geschützt wurde, weil es auf einer angeblich vom Bundesamt erstellten Prioritätenliste weit hinten aufgeführt wurde.
Der Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, Wolfgang Wieland (Grüne), erklärte gestern: „Die Vernichtung des Aktenvermerks steht in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Vernehmung Werthebachs im Untersuchungsausschuss.“ Nach dessen Aussage am Freitag vor Pfingsten habe eine regelrechte „Jagd auf Kopien“ des Vermerks eingesetzt. Aufschluss darüber, ob Werthebach persönlich auf die Vernichtung des Vermerks hinwirkte, erhofft sich Wieland von der heutigen Ausschusssitzung .
Untragbar ist für die Grünen auch, dass Vermanders Stellvertreter Klaus Müller, der die Reißwolf-Affäre aufdeckte, auf die „überflüssige Stelle eines Geheimdienstkoordinators“ abgeschoben werden soll. Müller hatte sich geweigert, seine Kopie des Vermerks zu vernichten. Wie die grüne Verfassungsschutzexpertin Renate Künast erläuterte, soll Müller gegen seinen Willen auf eine neu geschaffene Stelle als Geheimdienstkoordinator in der Senatsinnenverwaltung versetzt werden. Diese Stelle sei aber nur „erfunden“ worden, um Müllers Versetzung zu ermöglichen. „Berlin braucht keinen Geheimdienstkoordinator“, sagte Künast. Denn der Informationsaustausch zwischen BND, Landes- und Bundesverfassungsschutz finde auf direktem Wege statt.
Die Streichung des Vizepostens beim Landesverfassungsschutz widerspreche außerdem den Empfehlungen des Boeden-Gutachtens, bemängelte Künast. Der frühere Chef des Bundesverfassungsschutzes, Gerhard Boeden, hatte zur Umstrukturierung des Landesamtes vorgeschlagen: „Der Leiter eines Landesamtes für Verfassungsschutz bedarf eines ständigen Vertreters, also nicht nur eines Vertreters im Verhinderungsfall.“ Die Empfehlungen der von CDU-Innensenator Dieter Heckelmann eingesetzten Boeden-Kommission wurden 1992 vom parlamentarischen Verfassungsschutzausschuss angenommen. Eine Begründung Werthebachs, warum er nun vom Boeden-Gutachten abweiche, gebe es nicht, so Künast. Hochgradig widersprüchlich sei auch, dass im Falle der Abwesenheit des Verfassungsschutzchefs eine höher dotierte Vertretung vorgesehen ist, sagte Künast.
Die Grünen sprachen sich gestern gegen eine „Strafversetzung“ Müllers aus. Dieser habe in zwei Affären, die Vermander zu verantworten habe, „gegengesteuert“. Deswegen sei bereits im Januar seine Versetzung im Zuge der Verfassungsschutzreform beschlossen worden.
Schon bei der Scientology-Affäre des Verfassungsschutzes hatte Müller im Sommer 1998 interveniert. Er wendete damals ein, die Beweise des Verfassungsschutzes reichten nicht aus, um einen leitenden Polizeibeamten als aktives Mitglied von Scientology einzustufen. Dennoch wurde ein entsprechendes Behördenzeugnis ausgestellt, das später widerrufen werden musste.
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