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Zentrum der Weltgarage

■ Hans Dampf: Billy Childish liest und spielt im Hafenklang

„In Wirklichkeit ist das, was mich davon abhält, etwas aufzuschreiben, die Angst, dass, falls ich jemals mein Buch schreibe, ich dann vielleicht dazu gezwungen wäre, aufgrund eines merkwürdigen Aberglaubens, noch eins zu schreiben und dann noch eins und so weiter und so fort, bis ich Berufsautor oder erwachsen geworden wäre. Kurz, es wäre kein Ende abzusehen.“ Das sagt William Loveday, Protagonist in Billy Childishs zweitem Roman Junger Mann ohne Kleider.

Ein Ende ist im Schaffensprozess von Billy Childish selbst ebenfalls kaum abzusehen, und ob sein Arbeitszwang ebenso einem „merkwürdigen Aberglauben“ entspringt, das können wir nicht wissen. Nunmehr alter Hase im Punkzirkus, hat er seit den frühen Achtzigern mit einer ansehnlichen Menge Bands (z.B. The Milkshakes, Thee Mighty Caesars, Thee Headcoats...) über 80 Platten veröffentlicht, und bei keiner hat es länger als 24 Stunden gedauert, sie aufzunehmen. Natürlich klingen die Platten auch so. Mehr als 30 Gedichtbände hat er außerdem veröffentlicht – von den unzähligen Holzschnitten und Gemälden ganz zu schweigen. Childish lebt und arbeitet im englischen Chatham, für ihn Zentrum der Weltgarage, und offensichtlich arbeitet er immer.

Sein zweiter Roman ist nun in deutscher Übersetzung beim Berliner Maas-Verlag erschienen und erzählt die Geschichte des spätpubertären Autors Loveday, der zunächst in Südengland und zeitgleich in der eigenen kranken Seele umherwandert und später von einer 7000 Jahre alten Moorleiche und den Geis-tern seiner Kindheit verfolgt in Hamburg St. Pauli landet. Dorthin verschlägt es Childish am Donnerstag nun auch. Im schnoddrigen Ambiente des Hafenklangs will er sowohl Passagen aus der englischen wie auch aus der deutschen Fassung vortragen, für die er den Roman komplett überarbeitet hat. Wahrscheinlich war gerade sein Aufnahmegerät kaputt, das Holz schon geschnitzt und der Whiskey alle. Zusammen mit seinem alten Kumpanen Johnny Johnson von den Headcoats wird er am selben Abend Blues spielen. Natürlich Lo-Fi à la John Lee Hooker, zwei Gitarren, eine Mundharmonika und stampfende Füße.

Guz, Sänger und Gitarrist der Schweizer Band Aeronauten schrieb kürzlich über Childish, er habe ihn Anfang der Achtziger mit der Platte The Milkshakes in Germany aus dem Jammertal geführt, und zwölf Jahre lang habe er durch ihn Beistand in allen Lebenslagen erfahren. Doch vor drei Jahren glaubte Guz erkannt zu haben, dass Childish nur noch „aus Reflex“ Platten mache und er selbst sie ebenso nur noch aus Reflex kaufe: „Wir werden älter und das Leben wird besser. Jetzt müssen wir den Müll runterbringen, es fängt an zu stinken.“

Wer weiß, vielleicht finden Leute wie Guz ja Gefallen an den Romanen, die Billy Childish nun schreibt. Meike Fries

heute, 21 Uhr, Hafenklang

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