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Originalkritzeleien

■ Literaturhaus: Georg Trakls historisch-kritische Werkausgabe stellt sich vor

„Fast jedem ist Georg Trakl auf seltsame Weise bekannt“, schätzt der Frankfurter Verleger KD Wolff die Leser-Szene ein. Mit einer neuen, sechsbändigen Gesamtausgabe will sein Verlag Stroemfeld/Roter Stern deshalb den wahren Trakl auf gebührende Weise publik machen: „Dann kann jeder den wichtigsten Lyriker der frühen Moderne endlich richtig kennenlernen.“ Nach alter Verlags-Tradition hat KD Wolff aber auch Lieblingsleser: „Alle, die aus der Studentenbewegung kommen, ein Herz für solche Literatur haben und nicht dem Staat verschrieben sind.“ Aber weil Trakl schließlich kein Politiker war, „haben wir nichts dagegen, wenn auch andere ihn lesen.“

Für Lieblings-Leser, Trakl-Liebhaber und andere ist heute abend im Literaturhaus das totale Trakl-Programm angesagt. Mit einer dokumentarischen Ausstellung und einer Lesung wird die neue Werkausgabe gewürdigt. KD Wolff will außerdem Sinn und Konzept der kritischen Edition erklären, und Hermann Zwerschina berichtet von seiner Arbeit als Mitherausgeber.

Bisher ist nur Band II der Gesamtausgabe mit den „Dichtungen Sommer 1912–Frühjahr 1913“ erschienen, und als „Supplement“ sind Nachdrucke der zwei Trakl-Originalausgaben auf dem Buchmarkt. Für die kommenden Jahre kündigt Stroemfeld/Roter Stern drei weitere Bände mit Gedichten, einen Band „Briefwechsel“ und einen mit „Dokumenten“ an.

Wie die historisch-kritischen Ausgaben von Hölderlin, Kleist und Kafka im gleichen Verlag bietet auch das Trakl-Projekt Handschriften und Erklärungen in integraler Darstellungsform. Das heißt, Text und Anmerkungsapparat sind nicht voneinander getrennt – der Leser kann Trakls dichterisches Schaffen durchackern, ohne viel hin und her zu blättern. Eine „diplomatische Umschrift“ gibt zusätzlich die Manuskripte mit Original-Kritzeleien, Streichungen und Ergänzungen typographisch lesbar gemacht wieder.

Die Herausgeber, Mitarbeiter des Forschungsinstituts „Brenner-Archiv“ der Uni Innsbruck, sind seit Jahrzehnten mit Trakl beschäftigt. Für die neue Edition haben sie sich vorgenommen, benutzerfreundlich zu sein. „Das haben wir zum Prinzip erhoben“, erklärt Hermann Zwerschina. Inhaltlich liegt für ihn der Schwerpunkt auf der „extensiven Darstellung der einzelnen Textstufen, die auch ein ,durchschnittlicher Leser' versteht.“ Unter „Benutzern“ stellt er sich nämlich sowohl Wissenschaftler wie auch Trakl-Liebhaber vor. Als Germanist hat er wohl keine politischen Leser-Vorlieben.

Nele-Marie Brüdgam

Literaturhaus, 20 Uhr

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