: Mörder entlassen?
„Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“ So lautet § 211 Absatz 1 des Strafgesetzbuches (StGB). Mord ist das einzige Verbrechen, für das laut StGB „lebenslänglich“ verhängt werden muss. Das heißt nicht, dass alle Mörder tatsächlich „lebenslänglich“ bekommen. Der Anteil der zu „lebenslänglich“ verurteilten Mörder ist in den letzten Jahren jedoch gestiegen: Während von den fünfziger bis zu den achtziger Jahren 37 Prozent aller Mörder zu „lebenslänglich“ verurteilt wurden, sind es inzwischen über 50 Prozent.
Insgesamt saßen 1997 in Deutschland 1.378 Lebenslängliche, darunter 54 Frauen. Von den Lebenslänglichen waren sechzehn, darunter eine Frau, über siebzig Jahre alt. Man schätzt, dass trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), wonach jeder ein Recht auf die Aussicht auf Freiheit hat, 17 Prozent der Lebenslangen in Haft sterben. Todesursache ist bei über 20 Prozent von ihnen Selbstmord.
Wie lange „lebenslang“ im Durchschnitt dauert, ist im Ländervergleich verschieden. Die so genannte mittlere Haftverbüßungszeit beträgt in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg derzeit rund 15, in Sachsen über 25 Jahre. Der Bundesmittelwert beträgt knapp 19 Jahre. Doch diejenigen, die noch einsitzen, tauchen in solchen Statistiken nicht auf. Die angegebenen Zahlen taugen daher nicht für einen Strafvollzugshärtevergleich.
In den sechziger Jahren wurde in der Bundesrepublik erstmals Kritik an der lebenslangen Freiheitsstrafe laut. Das Bundesverfassungsgericht entschied am 21. 6. 1977, dass die lebenslange Freiheitsstrafe nach § 211 StGB verfassungsgemäß sei; die Aussetzung des Strafrests sei jedoch gesetzlich zu regeln. 1982 wurde so die gesetzliche Strafrestaussetzung nach § 57 a StGB eingeführt. Hiernach wird nach fünfzehn Jahren verbüßter Haft der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt, wenn (1) „die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten“ nicht „die weitere Vollstreckung gebietet“, (2) der Inhaftierte einwilligt, und (3) von ihm keine Gefahr mehr ausgeht, die so genannte Kriminalprognose also günstig ist. Für die Erstellung der Kriminalprognose ist ein Gutachter zu bestellen.
Wer als voll schuldfähiger Sexualstraftäter ins Gefängnis wandert oder als nicht Schuldfähiger bzw. Kranker in die gerichtliche Psychiatrie, hängt vom Urteil psychiatrischer Gutachter ab. Ein wegen Mordes Verurteilter sitzt als gewöhnlicher Krimineller ein. Therapie kommt ihm nur im Rahmen der Mangelversorgung im Vollzug zu. Ein nach § 21 StGB wegen verminderter Schuldfähigkeit in die Psychiatrie Überwiesener bleibt dort unter Umständen sein Leben lang, hat aber eine größere Chance, therapiert zu werden.
Rund 500 Sexualstraftäter, schätzt der Spiegel, befinden sich zur Zeit in der gerichtlichen Psychiatrie. Das sind nur drei Prozent der in Deutschland verurteilten Triebtäter. 97 Prozent werden als zurechnungs- und schuldfähig ins Gefängnis gesteckt. uwi
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