: Nippons Hauptstadt bleibt am Rhein
Die „Edelmigranten“ sind zumeist in führenden Positionen tätig. Als Manager brauchen sie keine Arbeitserlaubnis, sie bleiben selten länger als fünf Jahre in Deutschland, und sie bleiben unter sich: Japaner in Düsseldorf ■ Von Ekkehart Schmidt
Düsseldorf ist nicht nur für den Karneval, den eleganten Luxusboulevard Königsallee („Kö“) und die Altstadt („längste Theke der Welt“) bekannt. Herumgesprochen hat sich auch, dass die Stadt der wichtigste Standort japanischer Unternehmen in Deutschland ist. Doch 1990 begann eine Abwanderungswelle nach Berlin. Die neue Hauptstadt drohte die japanische Gemeinde zu schlucken. Bis 1998 sind jedoch nahezu alle 70 japanischen Unternehmen, die es nach der deutschen Einheit nach Berlin gezogen hatte, zurückgekehrt an den Rhein.
Ende Oktober 1998 lebten 6.091 Japaner in Düsseldorf und Umgebung. Das waren 85 Prozent aller Japaner in Nordrhein-Westfalen (7.168) und 22 Prozent der rund 28.100 Japaner in Deutschland. Die Region Düsseldorf bleibt damit nach London und Paris die größte japanische Stadt in Europa.
Die Japaner unterscheiden sich wesentlich von anderen Migrantengruppen in Deutschland. Vor ihrer Ausreise zählten die meisten Migranten zu den Etablierten in Japan. Auch in Deutschland verfügen sie mehrheitlich über gesicherte Positionen mit hohem sozialem Status. Zudem unterliegen sie einem rechtlichen Sonderstatus durch die „Meistbegünstigungsklausel“ – diese erleichtert die Niederlassung japanischer Unternehmen. Manager – ein Großteil der Japaner in Düsseldorf – benötigen keine Arbeitserlaubnis. Ihre Migration ist vor allem durch berufliche und Karrieregründe motiviert. So nennt sie ein Mitarbeiter des Presseamtes – in Abgrenzung zu anderen – „Edelmigranten“.
Für den japanischen Außenhandel ist Deutschland ein wichtiger Partner und aufgrund der zentralen Lage in Europa auch ein bevorzugter Standort für Unternehmen. Mehr als 520 japanische Firmen haben sich an der Mündung der Düssel in den Rhein niedergelassen. Warum vor allem Düsseldorf? Eine solche Konzentration japanischer Firmen hat selbst Hamburg nie erreicht, obwohl der Wiederaufbau japanisch-deutscher Kontakte nach 1945 in der Hansestadt begonnen hatte. Zu Hamburg bestanden traditionell starke Beziehungen. Aber auch ins Ruhrgebiet gab es alte Verbindungen. 1955 ließ sich die erste japanische Firma in Düsseldorf nieder. Es folgten vor allem Unternehmen der Stahl- und Chemiewirtschaft sowie des Maschinenbaus. Düsseldorf als „der Schreibtisch“ des Ruhrgebietes bot sich mit seiner zentralen Lage im Ruhrgebiet als idealer Standort an. In den 60er-Jahren folgte die große Zeit der Handelshäuser, die Japans Exportindustrie vertraten. Mitsubishi, Mitsui, Marubeni und viele andere fassten in Düsseldorf Fuß. Ihr Erfolg zog in den 70er-Jahren auch japanische Industrieunternehmen an, die in Deutschland Vertriebs- und Servicegesellschaften aufbauten. Ihnen folgte im Laufe der 70er- und 80er-Jahre die gesamte Palette der Dienstleistungen, angefangen bei Banken über Versicherungen, Transportwesen und Werbeagenturen bis hin zu Ärzten und Vertretern des Einzelhandels und der Gastronomie. Doch nicht alle japanischen Unternehmen hatten auf Dauer Erfolg.
Nicht nur in der Unterhaltungselektronik wurden die Kosten zu hoch. Sony gehört zu den wenigen Anbietern von Unterhaltungselektronik, die nach wie vor in Deutschland herstellen. Noch ist deren Hauptverwaltung in Köln ansässig, bald zieht sie an den Potsdamer Platz nach Berlin. Generell ist die Hauptstadt für Düsseldorf zu einem ernsthaften Standortkonkurrenten in Bezug auf ansiedlungswillige japanische Firmen geworden. Bislang war Düsseldorf das Wirtschaftszentrum, Hamburg das Handelszentrum und Frankfurt das Bankenzentrum.
Die Migration des japanischen Personals wird in den meisten Fällen von den japanischen Firmen organisiert – inklusive Wohnungssuche – und erfolgt fast ausschließlich mit der Familie. Bei über 50 Prozent ist der Deutschlandaufenthalt auf höchstens fünf Jahre begrenzt. Nur jeder Sechste hat hier seinen festen Wohnsitz. Dies liegt an der Entsendepraxis der Unternehmen, aber auch an dem mit rund 20 Prozent recht hohen Anteil der Kinder und Jugendlichen unter 16 Jahren.
Da sie nach dem Deutschland-Aufenthalt wieder in das sehr leistungsorientierte japanische Schulsystem eingegliedert werden müssen, sind deren Eltern sehr darum bemüht, dass sie in Deutschland eine angemessene Schulbildung und Erziehung erhalten, die sie nicht allzu sehr von der japanischen entfernt.
In Düsseldorf gibt es zwei japanische Kindergärten und seit 1971 im Stadtteil Niederkassel auch eine „Japanische Internationale Schule“, eine Ganztagsschule mit über 700 ausschließlich japanischen Kindern. Diese größte japanische Schule in Europa unterrichtet nach japanischen Lehrplänen und mit japanischen Schulbüchern. Sie hat nur neun Jahrgangsstufen – denn die meisten Kinder gehen zur Oberschule zurück nach Japan. Dort erwarten sie schwere Prüfungen. Schüler und Eltern sind daher eine der wichtigsten Kundengruppen der beiden Buchläden, Takagi und Japan Book Center, in der Immermannstraße. Auch manche so genannte Paukschule hat sich auf Privatunterricht für diese Schüler spezialisiert. Seit Jahren gibt es auch Planungen zur Gründung einer High School und Universität in japanischer Trägerschaft. Hauptziel des „Japanischen Clubs“ war es schon bei der Gründung 1964, Probleme und Sorgen im Zusammenhang mit der Ausbildung der Kinder zu reduzieren.
Der exklusive Club – dem mit 360 Firmen und 5.680 Mitgliedern 80 Prozent der japanischen Gemeinde angehören – vereint die japanische Wirtschaftselite Düsseldorfs und hilft Neuankömmlingen als Mittler zwischen den Kulturen. Aus einem Mittagstisch, der deutsche und japanische Geschäftsleute zu wirtschaftspolitischen Informationen zusammenführte, entstand die „Deutsch-Japanische Gesellschaft“. 1997 hat sich dort auch ein „Juniorenkreis“ aus jungen Deutschen und Japanern gebildet, der sich monatlich zum Kennenlernen in der lockeren Atmosphäre eines Restaurants trifft.
Noch besser organisiert als das Wirtschaftsleben stellt sich die japanische Kulturszene mit anderthalb Dutzend Vereinen und Einrichtungen dar. Im Stadtteil Niederkassel verfügen die Japaner mit dem „EKO-Haus der Japanischen Kultur“ über ein Kulturzentrum mit integriertem buddhistischem Tempel, mit Teeraum, Gartenanlagen, Ausstellungsräumen, einer Bibliothek und seit April 1999 auch einem integrativen Kindergarten.
Auch auf Vereinsebene wird viel geboten: Zwei Einrichtungen veranstalten Kurse in japanischem Trommeln, eine Gruppe beschäftigt sich mit Koto-Musik, auch ein Schüler- und ein Frauenchor existiert. Ferner gibt es eine Ikebana-Schule, einen Go-Club, einen Origami-Treff, eine Bonsai-Werkstatt, eine Watanabe-Tanzgruppe und einen Golfklub. Nicht fehlen dürfen eine eigene Samuraigruppe namens Takeda und fünf Karaoke-Bars.
Während jeder dritte Japaner in Ober- und Niederkassel auf der linken Rheinseite lebt, haben die meisten Unternehmen, Einrichtungen und kleinen Geschäfte ihren Sitz rechtsrheinisch rund um die Immermannstraße, im Geschäftsviertel zwischen Hauptbahnhof und Königsallee. Das in Nr. 41 ansässige Hotel Nikko ist mit 600 Betten nicht zufällig das zweitgrößte und zudem teuerste Hotel am Platz. Es gehört zum 1978 entstandenen achtstöckigen Komplex des „Deutsch-Japanischen Centers“, in dem sich 33 Firmenniederlassungen und Institutionen, von Japan Airlines, The Bank of Tokyo-Mitsubishi, dem Japanischen Generalkonsulat (seit 1965 in Düsseldorf), der Japanischen Industrie- und Handelskammer (seit 1966 in Düsseldorf) bis zu einer Filiale des berühmten japanischen Kaufhauses Mitsukoshi, angesiedelt haben. Gegenüber gibt es einen exklusiven japanischen Friseur und mit „Kyo-to Porzellan“ einen Innenausstatter.
Wegen der begrenzten Aufenthaltsdauer und der hervorragenden Infrastruktur ist es für die meisten Japaner gar nicht nötig, gut Deutsch zu lernen. Das Zusammenleben mit Deutschen wird erschwert durch Verständigungsprobleme und unterschiedliche Mentalitäten, aber auch durch das Fehlen von Kontakten. Wegen der überwiegenden Beschäftigung in japanischen Betrieben und der zum Teil isolierten Situation der Kinder – unter anderem bedingt durch das hohe Schulpensum – bleibt man eher unter sich. Auch eine Lebensweise mit starker (innerjapanischer) Gruppenorientierung reduziert die Begegnungsmöglichkeiten. Aber auch die Deutschen scheinen etwas kontaktscheu zu sein. Da hilft es nicht viel, dass das Kultur- und Informationsbüro des Generalkonsulates monatlich ein deutschsprachiges Informationsblatt Japan Forum herausgibt .Vielleicht liegt es auch daran, dass Sushi – roher Fisch – nicht jedermanns Sache ist. Zwar haben das halbe Dutzend japanischer Lebensmittelgeschäfte und die 18 japanischen Spezialitätenrestaurants durchaus mehr zu bieten, Deutsche sieht man dort aber selten. Das seit 1964 bestehende „Nippon-Kan“ und zwei weitere exklusive Restaurants in der Immermannstraße sowie allein fünf in der benachbarten Klosterstraße werden vor allem von japanischen Businessmen frequentiert. Der „Sushi Circle“ in der Königsallee und zwei Restaurants in der Altstadt versuchen aber auch deutsche Kundschaft mit Lust auf das Besondere anzuziehen.
Nippons Hauptstadt ist und bleibt Düsseldorf – das hofft jedenfalls die Stadtverwaltung. Schließlich geht es in „Little Tokio“ um über 10.000 Arbeitsplätze in japanischen Firmen und deren Umsatz, der auf über 20 Milliarden Mark geschätzt wird. So wäre heute eine solche Peinlichkeit wie vor etlichen Jahren nicht mehr möglich, als humorlose Düsseldorfer Jecken die Krönung einer japanischen Karnevalsprinzessin ablehnten.
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