: Advantage Achilles
■ „Wie gebrechlich ist der Mensch, Ihr Götter“: Die FU-Studiobühne mit Kleists „Penthesilea“ im Theaterdock
„Penthesilea“ ist das Stück Kleists, in dem das Wort „Rasende“ wohl am häufigsten vorkommt. „Rasende“ im Sinne von übergeschnappt oder verrückt. Was natürlich seine Gründe hat: Penthesilea ist eine Amazonenkönigin, die sich gegen ihren Willen verliebt in den Griechen Achilles. Mit ihm taucht ein Gefühl auf, das eigentlich abgeschafft schien in der Welt der Amazonen, ein Gefühl, mit dem Penthesilea nicht umgehen kann.
Für sie gibt es nur Eindeutigkeiten: Männer oder Frauen, Sex oder Selters, Sieg oder Niederlage. Als sie erfährt, dass ihr Stamm im Kampf gegen die Truppen des Achilles unterlegen ist, bricht für sie die Welt zusammen.
Yvonne Hardt von der Studiobühne der FU Berlin hat Kleists „Penthesilea“ im Theaterdock der Kulturfabrik als eine Art Sportevent inszeniert. Bei ihr kämpfen die Amazonen um einen Pokal, der gut sichtbar im Vordergrund der Bühne aufgehängt ist. Da drunter ist Rollrasen ausgelegt, er symbolisiert das Feldlager der kämpfenden Parteien.
Eine käfigartige Sprecherkanzlei mit Mikrofon („Advantage Penthesilea, Mr. Achill to serve“) und ein Seilnetz, in dem bisweilen herumgeklettert wird, runden das Bühnenbild ab. Die Darstellerinnen und Tänzerinnen tragen allesamt graue T-Shirts mit Rückennummer und kurze, sportliche Röckchen. Sie rennen, springen und tanzen ohne Atempause um die Wette, und sie sind sich selbst die ärgsten Feinde.
Diese Stutenbissigkeit wird schön illustriert mit Hilfe eines auf der Bühne stehenden Turnpferdes, um das sich die Amazone mit der Rückennummer eins mit den anderen streitet. Es geht um den Thron, es geht um Achilles und gegen Achilles. Ein Penthesilea-Geist in einem rostroten Rock reicht dann die Nummer eins von einer Tänzerin zur nächsten. Durch diese Art Staffellauf bekommt die Figur der Penthesilea viele Fassetten: die Leidende, die Traurige, die Liebende, die Wütende, die Rasende, die Aufbegehrende und so weiter – und daraus bezieht auch dieses Tanztheaterstück seine Energie, Dynamik und Spannung.
Das wird zusätzlich unterstrichen durch die starken Bilder der Inszenierung: Als die Nachricht der Niederlage die Amazone mit der Nummer eins erreicht, stolpert diese trunken und unglücklich durch und über ihre Gefolgschaft. Sie scheint wirklich zu leiden und stimmt ein sehr trauriges und unter die Haut gehendes Zigeunerlied an. Danach reicht sie wie gehabt die Nummer eins weiter, und dann rennt sich ihre Nachfolgerin die Seele aus dem Leib, bis sie zusammenbricht.
Kein Wunder, dass am Schluss des Stückes die Damen alle noch singen: „Wie gebrechlich ist der Mensch, Ihr Götter“.
Ingrid Beerbaum
Von Dienstag bis Sonntag jeweils ab 20 Uhr im Theaterdock der Kulturfabrik, Lehrter Straße 35, Moabit
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