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Guter Osten, schlechter Westen

■ Eintagsliteratur, die sich niemand in die Schrankwand stellte, und Geschichten, die vom real existierenden Alltag weit entfernt waren: Der Cultur Gasthof Teetz mit einer Ausstellung über die Groschenheft-Kultur in der DDR

Der 50. Geburtstag der DDR naht. In Teetz, einem brandenburgischen Dörfchen in der Nähe von Kyritz, zeigt man darum in einer Ausstellung sozialistische Alltagskultur: Groschenhefte. DDR-Groschenhefte. Die soll es gegeben haben? War mit der Kulturpolitik der SED doch nicht vereinbar, nie gehört, nie gelesen. Sagen Ostdeutsche. Und die Germanistik schenkte dem Phänomen bisher keine Beachtung. Ausstellungsmacher Harald Hentrich erntete bei Wissenschaftlern, die sich mit der Kulturgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik befassen, nur ein Schulterzucken: Keine Bibliographien, kein Material, nichts.

Komisch: Pro Woche dürften bis zu einer halben Million Hefte erschienen sein, und keiner kann sich daran erinnern. Also hat Harald Hentrich sich in Nachlässen, Haushaltsauflösungen und auf dem Müll auf die Suche gemacht. Er ist fündig geworden: Rund 500 Groschenhefte zeigt er in seinem Cultur Gasthof in Teetz.

Acht verschiedene Reihen hat er entdeckt, die wöchentlich oder monatlich an die Zeitungskioske kamen, für 25 bis 40 Pfennig. Im Format kleiner Schulhefte oder kleiner gab es auf 30 oder 60 Seiten in schlichter Aufmachung Geschichten in knappen, einfachen Sätzen. Dass sich heute niemand mehr so recht erinnern kann, liegt wahrscheinlich daran, dass die Hefte wirklich nur ein paar Groschen kosteten und schnell im Altpapier landeten: Eintagsliteratur, die sich niemand in die Schrankwand stellte.

Die Hefte sollten schnörkellos und billig sein, und nur die Umschläge waren stets farbig und schön reißerisch aufgemacht, mit Titeln wie „Sturzflug aus den Wolken“ oder „Marihuana“, einem Heft aus den frühen Sechzigern. Auf dem Titelbild das Abbild eines Mannes mit Pistole in einem Spiegel. Davor eine Blondine, die erschrocken dreinblickt: In den Groschenheften wurden Geschichten erzählt, die vom real existierenden Alltag mehr oder weniger weit entfernt waren. Darin unterschieden sie sich nicht sehr von ihren westdeutschen Pendants: Trivialliteratur.

Nur eben in den Farben der DDR, und das sah dann so aus, dass es in vielen Heftchen nur so von Westagenten wimmelte, die sich am Sozialismus zu schaffen machten, oder von Kommunisten, die im Untergrund gegen Nazis kämpften. Und von protosozialistischen Menschen: Die „Kleine Erzähler Reihe“ des Militärverlages brachte 1964 das Heftchen „Swetlana“ auf den Markt, das eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt: Ein Marineoffizier liegt verwundet im Lazarett am Schwarzen Meer. Dort darf eine Russin Schwesterndienste leisten und dem Delirierenden die Hand halten. Der Soldat erkennt, dass die Russin ein Mensch ist, und verliebt sich in sie. Dann soll die Geliebte in ein Konzentrationslager, und das verhindert der gesundete Marinekämpfer, indem er den dafür verantwortlichen SS-Mann beim Baden unterge- hen lässt. Das ist eine typische Groschenheftgeschichte. Herzschmerz und politische Propaganda, die Botschaft ist einfach: Auch aus einstigen Mitläufern des Naziregimes können sich sozialistische Persönlichkeiten entwickeln.

Lustigerweise wurde in der DDR auch versucht über das billige Format die Hemmschwelle für die „richtige Literatur“ abzusenken: Für nur 80 Pfennig bot man in der DDR jeden Monat zweispaltig und auf billigem Papier ein ganzes Buch im Groschenheft-Outfit an. So konnte man Erwin Strittmatter, Stanislaw Lem, Jack London oder William Faulkner nach Hause tragen. Viele Ostdeutsche haben heute noch Exemplare der Roman-Zeitung im Bücherschrank.

Andreas Hergeth

Die Ausstellung läuft bis zum 15. November, Fr. bis Mo., 12–18 Uhr, Cultur Gasthof, Ganzer Straße 10, Teetz. Wegbeschreibung unter (03 39 76) 5 05 49

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