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Kulturelle Reproduktivkraft

Klon, Cyborg, Sloterdijk: Das Monströse ist allgegenwärtig. Vor allem in Weimar. 3 sat und Kulturstadt kooperieren beim Frankenstein-Festival  ■   Von Fritz von Klinggräff

Dr. Frankenstein demonstriert Allgegenwart. Automatenmensch, Klon, Cyborg sind seine Kreaturen, Peter Sloterdijk ist sein Pseudonym: Die Verwandlungskünste des Ingolstädter Vitalisten wirken noch immer. Nicht minder die fantastischen Geschichten, mit denen man ihre vermeintlichen Nachkommen umgarnt. Kaum eine Diskussion um die Reproduktivkraft und Reproduktionslust des Menschen, die nicht Mary Shelleys Monster als Bezugspunkt nutzt; Weimar, die Kulturstadt, macht daraus jetzt ein ganzes Theaterfestival. Mit Recht. Hat die thüringische Kleinstadt in diesem Jahr doch zur Genüge ihre Monstrosität unter Beweis gestellt. Von Goethe bis Buchenwald zeigte der Ort alles, was der Besucher von Deutschlands Geschichte erwarten kann, und mit dem Festival zum „Frankenstein-Komplex“ beweist Weimar seine Wandlungsfähigkeit nun quasi noch einmal auf der Meta-Ebene. „Ausbruch aus dem Goethe-Komplex“ nennt Weimars Kulturstadt-Bevollmächtigter Bernd Kauffmann den Höhepunkt seines Herbstprogramms. Sein öffentlich-rechtlicher Partner bei dieser Veranstaltung, 3 sat-Theaterchef Wolfgang Bergmann, bringt das auf die Kurzformel: „Die Monster sind wir.“

Neun Ur- und deutsche Erstaufführungen des Monströsen in kompakten zweieinhalb Wochen hievt das ungleiche Paar Kulturstadt/3 sat auf Bühne und Bildschirm. Noch warten der Pariser Cirque Baroque, das holländische Stuffed Puppet Theatre und Andrej Worons Teatr Kreatur auf ihren Auftritt, schon jetzt aber macht allen voran der Berliner Woron deutlich, dass er sich auf den moralischen Diskurs um den Mensch gewordenen Demiurgen Frankenstein nicht reduzieren lassen wird: „Schöpfung ist ein Privileg aller Geister“, zitiert er affirmativ den polnischen Autor Bruno Schulz.

Die Uraufführung von „Genosse Frankenstein, unser geliebter Führer!“, geschrieben und inszeniert von dem Rumänen Mihai Maniutiu, zeigte am vergangenen Freitag fantasmatisches Tanztheater, eine brutale Bilderflut in strenger Symmetrie und eine große antitotalitäre Plattitüde. Das ist nicht jedermanns Sache, wie der angestrengte Applaus auf der dreiviertelvollen Premierentribüne bewies, aber als schrille Replik aufs stalinistische Operettentheater funktioniert die Inszenierung wunderbar. Die Geburt des kommunistischen Menschen aus dem Blutbad seiner Opfer nimmt hier mit der Internationale ihren Anfang. Das ist so anachronistisch, wie es von dem Rumänen wörtlich gemeint ist. „Exorzismus mit Exorzismus austreiben“ ist sein Programm: In Genosse Frankensteins Welt, die Reinheit predigt und von Chimären regiert wird, tragen die Boten des neuen Zeitalters Wolfsschädel. Und wenn dem Frankenstein-Duo Marcel Iures/Oleana Pellea das Experiment endlich gelingt, dann ist es natürlich Wladimir Iljitsch Leninhimself, der die Bühne betritt – verkörpert durch den kleinwüchsigen Dan Morariu. Das ist in seiner banalen Geschmacklosigkeit von einer hinreißenden Gewalt, und es bleibt abzuwarten, ob sich die Weimarer Bühnen in den kommenden zehn Tagen noch einmal eine ähnliche Intensität gönnen.

Gewidmet ist das Festival dem Autor und einstigen TAT-Regisseur Wolfgang Deichsel, der hier mit seinen Frankenstein-Stücken der Sechziger – „Frankenstein. Aus dem Leben der Angestellten“, „Frankensteins Braut“, „Zelle des Schreckens“ – aus der Versenkung geholt wird. „In den Achtzigern habe ich damit aufgehört“, kommentierte Deichsel seine unverhoffte Wiederentdeckung fast schüchtern: Jetzt habe er sich nochmals drangesetzt, weil der Bergmann von 3 sat „das aktuell fand“. Herausgekommen ist der Einakter „Rott. Das Monster im Verhör“, ein kriminaler Schwank um die multiple Persönlichkeit und das Monster, das wir alle irgendwie sind.

Michael Quast gleicht in der Rolle des Serienmörders Rott eher Mel Brooks Sympathieträger von 1974, Frankenstein junior, als dem legendären Boris Karloff in den Frankenstein-Filmen der Dreißiger. Deichsels eigene Inszenierung wandelt die grandiose Theaterhalle Roter Oktober in ein Guckkastentheater. Zugleich zeigt sie in nuce, warum auch seine Stücke der Sechzigerjahre in der gesampelten „Bruder Frankenstein“-Produktion, die der Theaterhof Priessenthal am Donnerstag im Weimarer E-Werk uraufführte, den leichten Modergeruch nicht ablegen können. Allzu einfach klappert hier die dialektische Mühle der Pathologie in ihrer zivilisationskritischen Umkehrbewegung: Trugbilder sind wir uns selber, Monster unserer eigenen technischen Vervollkommnung; nur der Verrückte ist noch fähig, qua Erkenntnisriss die Wirklichkeit hinter dem universalen Verblendungszusammenhang zu schauen.

In 120 minimalistischen Kurzszenen hat Wolfgang Deichsel dieses „Leben der Angestellten“ (im elektrischen Wortsinn) in den Sechzigerjahren zu Papier gebracht. In einem monumentalen „virtuellen Theater“ will es nach den Priessenthalern auch Johannes Brandrup mit unter dem Titel „Erbarmen! Zu spät!“ ab dem 16. September auf die Bühne bringen. Deichsels Doktor Frankenstein ist da weder promethischer Halbgott noch von faustischem Wissenshunger getrieben, sondern die Figur des modernen Hamlet. Ein „Zauderer“ ist er, zerschlägt Spiegel und „bringt Figuren hervor, die nicht Hand und Fuß haben“. Und alles nur, weil er sich selbst nicht leiden kann – „ja, Frankie, so kommst du nie ans Ziel.“

Bis zum 26. September Inszenierungen zum Thema von Wolfgang Deichsel, Mihai Maniutiu, Theaterhof Priessenthal, ensemble theater erlangen, Die Zelle, Cirque Baroque, Teatr Kreatur, Stuffed Puppet Theatre, Synergie Club. 3 sat zeigt „Die Frankenstein-Nacht“ am 25. September ab 20.15 Uhr. Bei Suhrkamp erschien ein begleitender Reader: „Der Frankenstein-Komplex. Kulturgeschichtliche Aspekte des Traums vom künstlichen Menschen“. Hg. von Rudolf Drux, 276 S., 16,80 DM

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