: Jenseits von Befreiung und Anpassung
Halbstarke, Medienarbeiter und einsame Helden: Im Willy-Brandt-Haus diskutierten die Thirtysomethings der SPD-Bundestagsfraktion mit dem Soziologen Heinz Bude und dem Politologen Franz Walter über die so genannte Generation Berlin ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Generationen sind prima. In den letzten Jahren kamen viele und gingen dann wieder: die „89er“ mit ihrem so panne wie leicht faschistischen Bocksgesang, die unter gleichem Label, in einem Buch der jungen Beckschüler Johannes Goebel und Christoph Clermont, ein paar Jahre später auch für Selbstbewusstsein und lebensästhetische Orientierierungen „jenseits der gängigen Stereotypen“ standen. Die „Generation XTC“ – „Ihr Name ist Generation XTC, ihre Fixsterne heißen Love Parade, Ecstasy, Acid oder Cyberspace“ – kam vorbei und auch der Tagesspiegel wollte nicht abseits stehen und stellte neulich die „Generation“ zur Diskussion.
Spätestens seit der Erfindung der Beat Generation ist Generation ein Etikett, das man auf Bücher, Filme, Zeitschriften, Unterhosen, Parteien und CDs klebt, um sie besser zu verkaufen. Auch Heinz Bude, der smarte Soziologe, war mit seiner „Generation Berlin“ recht erfolgreich. Er definierte sie als eine Altersgemeinschaft von Leuten zwischen 30 und 45, die u. a. geprägt sei von Anti-AKWs, Hans Jörg Felmy, Dekonstruktivismus und Punk, und rückte sie damit tendenziell, wenn auch irgendwie genauer, in die Nähe der betont unideologischen Beckschen Helden.
Deshalb saß er am Dienstagabend in der SPD-Zentrale neben einigen sozialdemokratischen JungpolitikerInnen und dem SPD-Historiker Franz Walter auf dem Podium, um den 36 „jungen“, das heißt unter 40-jährigen SPD-MdBs, die das alles organisiert hatten, ihre Generation zu erklären und diese irgendwie mit der so genannten „Berliner Republik“ zu verschalten.
Am Rednerpult leicht tänzelnd stellte Bude fest, dass der Begriff Generation dem Gesellschaftsbegriff den Rang ablaufe, was unter anderem daran liege, dass in „Generation“ so was Dynamisches mitschwinge, zugleich auch das in Deutschland sehr beliebte „übertriebene Wir“, das ein Jenseits von sozialer Herkunft impliziere.
Die generationsmäßige Identifikation über Differenz sei bei den Wahlen 98 entscheidend gewesen, als der letzte Vertreter des Modelldeutschlands weggewählt wurde, um 68ern Platz zu machen, die sich zuvor von ihren kulturrevolutionären Vorstellungen verabschiedet hätten.
So regieren sie nun, und hinter ihnen lauert die Generation Berlin, um das „Script“ zu ändern. Sie haben gelernt, dass wider alle Erwartungen die Welt nicht untergeht, und zeichnen sich durch „transzendentale Nüchternheit“ aus, die in dem Wissen besteht, dass es kein Jenseits von Macht, Wissen und Geld gibt, wohl aber ein Jenseits von Anpassung und Befreiung. Der 89er Umschwung bewahrte sie davor, sich bis an ihr Lebensende an den 68ern abzuarbeiten. (Die Diskutanten tranken während dieser Ausführungen „Arienheller-Wasser“ – keine Ahnung, ob das nun schmeckte oder nicht). Der professorenhaft zottelige Franz Walter widersprach. Zuvor hob er lustig hervor, dass er in einem lippischen Dorf mit 900 Einwohnern lebe und dass die Provinz in geschichtlichen Prozessen entscheidend sei. Gleiche Jahrgänge bilden noch keine Generation, sagte Walter, es gehe vielmehr um ähnliche Erfahrungen im Generationenkampf. Der Generation Berlin fehle die Kampferfahrung, die sie erst begründen könne. In Deutschland habe es eigentlich nur drei Generationen im klassischen Sinne gegeben: Sturm und Drang, Wandervogel und die 68er mit ihren so „bizarren“ wie „weltfremden“ Anführern. Die Regierenden Schröders seien keine 68er, sondern vielmehr von den 50ern geprägte großmäulige Halbstarke. Eigentlich bestehe die ganze bundesrepublikanische Elite aus „Halbstarken“. „Ich fahr mit dem Mofa die Straße rauf, die Straße runter – Halbstarke eben!“
Heinz Bude verzog kritisch seinen Mund. Mit der Lebenswirklichkeit der meisten, die nun mal sesshaft seien, habe die so genannte „Berliner Generation“ wenig zu tun. Ihre unstete Mobilität spiegele lediglich die Wirklichkeit der Medienleute. 2026 werde Rot-Grün einen glanzvollen Sieg erringen.
Wie alle forderte Walter eine neue Programmdiskussion in der derzeit „richtungs- und sprachlosen Partei“, die ihre Traditionen nicht vergessen dürfe. Eine Juso-Frau mahnte Überzeugungen an. Carsten Schneider, „der jüngste Bundestagsabgeordnete der Welt“ aus Thüringen, erfand eher unabsichtlich den Begriff „Identifikät“. Dies war die erste Veranstaltung, mit der sich die SPD-Küken zu Wort meldeten. Weitere sollen folgen. In der Nachwuchszeitung Berliner Republik, die ab Oktober erscheinen wird, wird das sicher alles noch ausführlicher diskutiert werden. Auf dem Zettel, der für den Zeitschriftenbezug wirbt, heißt es: „Das Land ist größer geworden, die Regierung sozialdemokratischer, die Mitte neuer, die Hauptstadt lauter, die Politik realistischer, die SPD sprachloser. Jetzt regieren die staatstragenden Yesterday Heroes der 68er. Dahinter aber wird endlich eine jüngere, progressive Generation erkennbar, die erst von Berlin aus beginnt, wirksam zu werden. Keine außerparlamentarische, soziale oder Jugendbewegung hat sie zusammengebracht, sie kommen einzeln.“ Lonesome Heroes. Lustig, wenn junge Staatsträger den Alten vorwerfen, staatstragend zu sein.
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